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Wie Vertical Farming die Stadt verändern kann  



Von Meike van der Kamp 

Dieser Artikel wurde unter Mitarbeit von Luis Schwarz verfasst. 







Traditionell wird Landwirtschaft horizontal und im Freien betrieben. Im Gegensatz dazu wird beim Vertical Farming vertikal und in geschlossenen Räumen angebaut. Vertikale Anbausysteme funktionieren meist ohne Erde, also hydroponisch. In Regalen mit Bewässerung und Licht werden Pflanzen, Pilze und Insekten unter kontrollierten Umweltbedingungen gezüchtet. Das geschlossene Kreislaufsystem und die idealen Bedingungen ermöglichen hohe und zuverlässige Erträge ohne den Einsatz von Pestiziden und Herbiziden, unabhängig von Wetter und Jahreszeit! 

 

Ich bin Meike, eine der 3 Gründerinnen der Edugarden gUG. Wir wollen Lern- und Erlebnisorte für Vertical Farming und urbane Landwirtschaft in Städten schaffen. Vertical Farming ermöglicht den Anbau von Lebensmitteln vor Ort mit minimalem Ressourceneinsatz und reduziert den Wasserverbrauch um mindestens 95% verglichen mit herkömmlichen Anbaumethoden. 


(Eigene Darstellung)  



Auf kleiner Fläche können so nährstoffreiche, gesunde und ausgereifte Produkte lokal angebaut und geerntet werden. Da in einem geschlossenen System 365 Tage im Jahr die perfekten klimatischen Bedingungen herrschen, gibt es keinen Grund, die Produkte in einer anderen Klimazone anzubauen. Durch moderne Technologien und Automatisierung können Vertical Farming Systeme einen entscheidenden Beitrag zur nachhaltigen Nahrungsmittelproduktion weltweit leisten. 


(Quelle: https://growpipes.com/, abgerufen am 25.01.2024)


Warum Vertical Farming? Notwendigkeit und Vision. 

Das kann man aus zwei verschiedenen Perspektiven erklären. Erstens aus der Perspektive, die die Krise betont und uns zum Handeln auffordert: 

Wir schreiben das Jahr 2050 und ihr lebt in einer Stadt in Deutschland, so wie ca. 84,3% der Gesamtbevölkerung Deutschlands (Prognose zum Anteil von Stadt- und Landbewohnern in Deutschland bis 2050 | Statista, Zugriff am 06.01.24). Der Klimawandel, den man ehrlicherweise als Klimakatastrophe bezeichnen muss, ist für jeden massiv spürbar. Die Welt ist im Zeitalter der Urbanisierung angekommen. 


Bereits im Jahr 2023 schrieb das BMZ: 

„Heute lebt bereits mehr als die Hälfte der Menschen in Städten. Bis 2050 werden es voraussichtlich mehr als zwei Drittel sein – bei gleichzeitig wachsender Weltbevölkerung. Kein Zweifel: Wir befinden uns im Zeitalter der UrbanisierungStädte heizen den Planeten auf. Sie verbrauchen rund 80 Prozent der weltweiten Energie und Ressourcen. Denn in Städten wird gebaut, geheizt und gekühlt, sie produzieren große Mengen an Abfall und die zahlreichen Fahrzeuge stoßen große Mengen an Treibhausgasen und weiteren klimawirksamen Luftschadstoffen aus. Doch Städte tragen nicht nur erheblich zum Klimawandel bei – sie sind auch besonders von seinen Folgen betroffen. Sie liegen häufig an Küsten, Flüssen, Flussdeltas oder Berghängen, sodass Schäden durch Naturereignisse in Städten besonders hoch ausfallen. Auch steigende Temperaturen werden in urbanen Räumen mit viel Beton und Asphalt stärker spürbar.  Eine nachhaltige städtische Planung und widerstandsfähige – klimaresiliente – Infrastruktur können die Folgen des Klimawandels abmildern. Die globalen Klima- und Entwicklungsziele der Agenda 2030 und des Pariser Klimaabkommens können nur gemeinsam mit den Städten erreicht werden“.

 

Und Ban Ki-Moon (UN-Generalsekretär von 2007-2016) sagte:  

“Städte sind die Orte, an denen der Kampf für nachhaltige Entwicklung gewonnen oder verloren wird.“ 

(https://www.bmz.de/de/themen/klimawandel-und-entwicklung/stadt-und-klima, abgerufen am 06.01.24) 



Diese Grafik zeigt anschaulich, worum es geht: 


(Quelle: https://www.klimafakten.de/sites/default/files/images/reports/graphics/staedte.jpg, abgerufen am 06.01.24)


Im Jahr 2050 werden Städte 75% der natürlichen Ressourcen, 80% des weltweiten Energiebedarfs und 80% der Nahrungsmittel verbrauchen. Deshalb ist es ökonomisch sinnvoll und nachhaltig, Lebensmittel vor Ort in den Städten und ihrem direkten Umland anzubauen, zu verarbeiten und möglichst abfallfrei zu produzieren oder Abfälle zu verwerten. Eine nachhaltige Stadtentwicklung kann nur dann erfolgreich sein, wenn gleichzeitig eine lokale Lebensmittelversorgung aufgebaut wird. Dann entsteht ein nachhaltiges Ernährungssystem, in der Fachwelt “Urban Food System“ genannt. Vertical Farming und Circular Food Production werden Teil einer umfassenden Stadtentwicklung, die alle Ressourcenströme nutzt, im Kern zirkulär ist und zum Wohlbefinden der Menschen beiträgt. Es ist ein wesentlicher Hebel, um an vielen Orten eine lokale Lösung für ein globales Problem zu entwickeln! 


Philipp Stierand schreibt in seinem Buch 'Speiseräume - Die Ernährungswende beginnt in der Stadt': "Aus lokaler Perspektive bietet das Thema unverzichtbare Möglichkeiten zur Lösung städtischer Probleme und entscheidende Chancen für die Stadtentwicklung in den Bereichen Nachhaltigkeit, Gesundheit, Wirtschaft, Soziales, Stadtgestaltung und Lebensmittelversorgung... Ernährung hat das Potenzial, die regionale Wertschöpfung zu steigern, Arbeitsplätze in der Stadt und der Region zu schaffen, den städtischen Raum zu schützen, Verkehrsbelastungen und Treibhausgasemissionen zu minimieren und das soziale Leben zu fördern.” 


Ausgehend von diesem Gedanken haben wir die Idee der EduGarden Labs, der Lernorte für Vertical Farming und urbane Landwirtschaft, entwickelt. Wir sind drei Frauen, die ihre Expertise und Erfahrung bündeln, um diese innovative Form der Landwirtschaft für Bürgerinnen und Bürger erlebbar und erlernbar zu machen. Wir wollen diese Lernorte nach und nach inklusiv gestalten, sowohl in unserem Angebot als auch in unserem Unternehmen selbst. Dabei verstehen wir Inklusion so, dass wir Chancen für Menschen mit weniger Chancen schaffen wollen. 


Bis zu diesem Punkt appelliert dieser Ansatz an die Notwendigkeit - er fordert ein Umdenken und Handeln und impliziert einen moralischen Imperativ. Auch wenn dies angesichts der Situation gerechtfertigt ist, machen wir alle seit vielen Jahren die Erfahrung, dass dies ein denkbar schlechter Motivator ist. Dies liegt an bestimmten Argumentationsmustern, von denen die wichtigsten in der folgenden Infografik erläutert werden.


(https://www.klimafakten.de/meldung/poster-spiel-nicht-ich-nicht-jetzt-nicht-so-zu-spaet-mit-welchen-saetzen-klimaschutz, abgerufen 06.01.2024) 


Inzwischen wissen wir, dass Appelle, die mit der Betonung von Gefahren arbeiten, nicht wirklich zur Veränderung und zum Handeln motivieren. Deshalb erzählen wir die Idee unserer EduGarden Labs noch einmal: 

Im Jahr 2023 gründen 3 Frauen die Edugarden gUG - sie wollen ihr Erfahrungswissen bündeln und Orte schaffen, an denen alle Menschen lernen können, wie Vertical Farming funktioniert. Welche Potentiale, Perspektiven und Herausforderungen damit verbunden sind. Wie es Teil einer nachhaltigen urbanen Landwirtschaft werden kann und wie dabei alle Bürger:innen nachhaltiges Wissen und Handeln lernen können. Im EduGarden Lab treffen sich die unterschiedlichsten Menschen, um miteinander und voneinander gärtnern im Vertical Farming  zu lernen. Wer sind sie, was suchen sie und was finden sie? Hier ein Beispiel dafür, wie Menschen, mit ganz unterschiedlichen Hintergründen und Motivationen, zusammenkommen können:   


  • Maria ist eine Seniorin, die ihr Leben lang gegärtnert hat. Im EduGarden Lab kann sie Salat anbauen, ohne sich bücken zu müssen, und andere Menschen treffen, die von ihrem Wissen profitieren. Nachmittags kocht und isst sie mit den Kindern aus der Nachbarschaft. Sie ist glücklich, denn ihre Erfahrungen als Gärtnerin werden geschätzt und sie hat Kontakt und Austausch mit vielen anderen. 

  • Leon ist 17 Jahre alt und interessiert sich für den technischen Bereich im Vertical Farming. Er überlegt, ob er in beruflich etwas mit Automatisierung und Landwirtschaft macht. Er findet es toll, dass er hier etwas Technisches und Nachhaltiges lernt, das er anwenden kann.  

  • Sarah und Anton sind Mitte zwanzig, haben kleine Kinder und freuen sich auf den Austausch im Lab und finden es gut, dass sie hier lernen, wie sie Salat, Gemüse und Beeren kostengünstig auf dem Balkon oder in der Garage in selbstgebauten vertikalen Systemen anbauen können. 

  • Hakim ist vor mehr als zwanzig Jahren aus Syrien geflohen, nachdem dort nach Jahren der Dürre infolge des Klimawandels ein großer Bürgerkrieg ausgebrochen war. Er hat am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, wenn sich die Lebensbedingungen durch den Klimawandel so verschlechtern, dass es zu sozialen Unruhen und Kriegen kommt. Er lässt sich im EduGarden Lab zum “Vertical Farming Lotsen“ ausbilden, um in seiner Stadt Ansprechpartner für Bürger zu werden, die diese Anbauformen selbst nutzen wollen und Unterstützung brauchen. 

  • Martin hat eine psychische Gesundheitsstörung und über ein Teilhabeangebot im EduGarden Lab findet er in der Arbeit mit den Pflanzen Orientierung und Halt. Meike begleitet ihn als Peer Counselor. Im Coaching mit Meike geht es für ihn um Empowerment, um Kontakt und Selbstbestimmung. 



Auf Wikipedia finde ich die Definition von Empowerment:  

„Mit Empowerment (zu englisch empowerment „Ermächtigung, Übertragung von Verantwortung“) bezeichnet man Strategien und Maßnahmen, die den Grad an Autonomie und Selbstbestimmung im Leben von Menschen oder Gemeinschaften erhöhen sollen und es ihnen ermöglichen, ihre Interessen (wieder) eigenmächtig, selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu vertreten („Hilfe zur Selbsthilfe“). Empowerment bezeichnet dabei sowohl den Prozess der Selbstbemächtigung (Emanzipation) als auch die professionelle Unterstützung der Menschen, ihr Gefühl der Macht- und Einflusslosigkeit (powerlessness, „gesellschaftspolitische Ohnmacht“) zu überwinden und ihre Gestaltungsspielräume und Ressourcen wahrzunehmen und zu nutzen.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Empowerment, abgerufen 21.11.23) 


Empowerment ist einer der zentralen Dreh- und Angelpunkte an diesem Ort, durch das Erlernen von zukunfts- und systemwandelrelevantem Wissen und Handeln, durch Begegnung, Ermutigung und die Erfahrung, dass das Leben in der Stadt selbstverantwortlich gut und nachhaltig gestaltet werden kann, Spaß macht und Menschen zusammenbringt.  


Das ist unser Ansatz! Wir wollen diese Orte schaffen. Wenn ihr Lust habt, mitzumachen und  Vertical Farming genauer kennenzulernen, dann lasst uns Pläne für eine Zusammenarbeit entwickeln! Wir haben Lust, gemeinsam mit Studierenden ein Service Learning Konzept zu entwickeln, um eine Brücke zwischen der universitären Welt und den entstehenden Transformationsorten zu bauen. Wir freuen uns über Menschen aus den Bereichen Social Media, Landwirtschaft, Inklusion, Transformationsdesign, Projektmanagement, Social Entrepreneurship, Pädagogik, Stadtentwicklung. Wir freuen uns auf den Austausch mit Euch – gerne auch in den Kommentaren!  



 

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