Nicht vielen Menschen sagt ein „Weltladen“ was. Dabei könnten Weltläden wichtige Orte des Wandels auch für Jüngere sein. Ist Fairness out?
von Lisa Brokmeier
Wenn mich jüngere Menschen fragen, was ich mache, ist meine Standard-Antwort: „Kennst du Weltläden? Die machen Fairen Handel.“ Je nach Bubble-Zugehörigkeit kommt dann entweder, „Na klar kenne ich die, meine Oma macht bei einem mit“ oder „Ja, bei mir im Ort gibt’s auch einen, aber die sind voll teuer, oder?“. Oft gibt es auch keinen Bezug, weshalb ich dann erläutern muss, was Fairer Handel eigentlich ist. Hauptberuflich berate ich Weltläden in Rheinland-Pfalz zu Alltags- und Bildungsfragen. Da ihr Handeln meist auf ehrenamtlichem Engagement beruht und dieses bekanntlich von allerlei Faktoren abhängt, gibt es meine Stelle mit dem sperrigen Titel: „Fair-Handels-Beratung“ 16-mal in Deutschland.
Doch Weltläden sind weit mehr als Geschäfte, in denen es vermeintlich „nur“ unvorteilhafte Öko-Filz-Mode und Deko für vor 1950 Geborene gibt. Weltläden sind auch Orte des politischen und edukativen Engagements für einen gerechteren Welthandel. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen, dass sie ein Alternativmodell zur kapitalistischen Logik eines ausbeuterischen Marktes sind. Doch warum sind sie in politischen Zeiten wie den heutigen bei Jüngeren als mögliche Wirkorte vollkommen verkannt?
![Weltladen Dachverband](https://static.wixstatic.com/media/fcfb3e_a5f95c59f03e4f9a887f5489576bbbe8~mv2.jpg/v1/fill/w_980,h_653,al_c,q_85,usm_0.66_1.00_0.01,enc_avif,quality_auto/fcfb3e_a5f95c59f03e4f9a887f5489576bbbe8~mv2.jpg)
Weltläden entstanden aus Protest
Weltläden setzen sich seit über 50 Jahren für eine damals noch radikale und revolutionäre Idee ein: Nicht der Profit, sondern der Mensch steht im Mittelpunkt. In sogenannten „Hungermärschen“ mobilisierten zunächst kirchliche Jugendverbände 1970 damals mehr als 30.000 Menschen in verschiedenen Städten. Leitend war dabei das Zitat des brasilianischen Erzbischofs Camaras: „Eure Almosen könnt ihr behalten, wenn ihr gerechte Preise zahlt“. Eindeutig drückt es die Kritik der Protestierenden an der karitativen Entwicklungspolitik der BRD und die wachsenden Ungleichheiten im Welthandel aus. Damit es nicht bei Protesten blieb, kamen schnell Ideen in der Bewegung mit dem Motto „Lernen durch Handel“ auf, Aufklärungsarbeit durch den konkreten Verkauf fair gehandelter Produkte zu leisten. An provisorisch geschaffenen Ständen wurden ungleiche Machtverhältnisse im Welthandel in einer postkolonialen Gesellschaft sowie Gegenmodelle zu klassischen Handelsbeziehungen diskutiert.
Die Protestbewegung wurde schnell so erfolgreich, dass ihre aktivistischen Gruppen anfingen, ihre Produkte aus „alternativem Handel“ an festen Ladenorten anzubieten. Feste Orte zu etablieren, war im Nachhinein betrachtet wahrscheinlich einer der Schlüsselfaktoren für das langfristige Überleben dieser Bewegung.
Woher kommt mein Kaffee?
Alternativer Handel heißt heute Fairer Handel. Seit seinen Anfängen hat sich viel getan. Heutzutage sorgt ein komplexes Zertifizierungssystem dafür, dass sich die in Weltläden angebotenen Unternehmen zu einigen Sozial- und Umweltstandards verpflichten. Was einfach und selbstverständlich erscheinen mag, ist jedoch ein Unikum. Der konventionelle Welthandel ist durch Zwischenhandel von Undurchsichtigkeiten geprägt. Dass der genaue Ursprungsort eines Produktes, dass bei uns im Regal steht, samt seiner Produktionsbedingungen, bekannt ist, ist also eine Seltenheit.
Die Standards dieser Produkte betreffen unter anderem einen höheren Lohn als den ortsüblichen, das Verbot ausbeuterischer Kinderarbeit und besseren Arbeits- und Umweltschutz. Dies wird unternehmensunabhängig kontrolliert und zertifiziert.
Die Produkte, die in Weltläden zu finden sind, kommen meist aus Ländern des Globalen Südens. Das hat den Hintergrund, das Fairer Handel dort ansetzen möchte, wo die meiste Ungerechtigkeit existiert. Meist sind es ehemalige Kolonialprodukte wie Kaffee, Schokolade oder Textilien. Dabei wirken die in der Kolonialzeit geschaffenen Lieferketten bis heute in Form unfairer Gesetze, einem hohen Machtgefälle und starker Abhängigkeiten nach. Personen innerhalb dieser Lieferketten haben nur begrenzte Möglichkeiten, auf globale Marktstrukturen (bspw. dem Preis ihrer Produkte) Einfluss zu nehmen. Die Pioniers-Unternehmen des Fairen Handels setzen somit wichtige Impulse, unter welchen Bedingungen Produkte fairerer Lieferketten produziert werden müssten.
![ELAN e.V./ L. Brokmeier](https://static.wixstatic.com/media/fcfb3e_9758127520dc4d0385e2dfebd2da77f0~mv2.jpg/v1/fill/w_980,h_735,al_c,q_85,usm_0.66_1.00_0.01,enc_avif,quality_auto/fcfb3e_9758127520dc4d0385e2dfebd2da77f0~mv2.jpg)
Engagement für eine fairere Welt
Trotz steigender Beliebtheit führen fair gehandelte Produkte auch nach 50-jährigem Bestehen heute immer noch Nischendasein. Gerade einmal 27,61 EUR gab eine Person in Deutschland pro Schnitt im Jahr 2023 für fair gehandelte Produkte aus.
Weltläden machen hiervon wiederum nur einen Bruchteil des Absatzes aus. Dennoch haben sie etwas geschafft, was kaum eine andere aktivistische Bewegung geschafft hat: Sie bestehen weiterhin, trotz fast ausschließlich ehrenamtlicher Arbeit.
Doch Weltläden kämpfen mit einigen Herausforderungen. In einem kompetitiven Markt wie dem unserem, kann sich ein Laden mit fast ausschließlich ehrenamtlichem Team nur bedingt professionalisieren. Zwar versuchen die wenigsten Läden, wie in den Anfängen, Kund:innen mit selbst gemalten Pappschildern in die Läden zu locken. Dennoch führt der bloße Appell, wertebasiert zu konsumieren, kaum dazu eine größere Kund:innenschaft anzusprechen. Das bedeutet wiederum, dass die Weltläden ihren eigentlichen Zweck, dem Vorantreiben neuer, anderer Wirtschaftsbeziehungen nur bedingt verfolgen können. Und es bedeutet, dass sich die Orte konsumkritischer Praxis damit auseinandersetzen müssen, wie sie mehr Produkte verkaufen können.
Eine andere Herausforderung ist das Alter der Bewegung. Das Stereotyp, dass „meine Oma da mitmacht“ oder dass es „vor allem unförmige Ökomode“ gibt, kommt nicht von ungefähr. Personen, die ehrenamtlich für den Laden einkaufen, kaufen mit höherer Wahrscheinlichkeit nicht nach Marketingkriterien, sondern eher nach eigenem Gusto. Eine Ladenschicht zu übernehmen und mit Kund:innen und anderen Ehrenamtlichen zu reden, ist einfach nett. Eine schöne und sinnvolle Beschäftigung auch nach Eintritt ins Rentenalter, aber vielleicht nicht unbedingt etwas für die Sturm und Drang-Phase des Lebens.
Die feurigen Engagierten von damals gibt dennoch noch weiterhin. Sie engagieren sich gegen rechts (Tipp: Podcast fairtont. #33) oder führen weltbewusste Stadtrundgänge (Weltladen Koblenz) durch. Doch enorm viele Weltläden berichten, dass ihnen junger Drive und auch die junge Perspektive auf ihre Produkte und ihr Engagement fehlt.
Wo ist jedoch die junge, politische Generation, wenn sie einen Ort gestellt bekommt, der sie mit offenen Armen empfängt? An dem sie sich auch ohne großen Geldbeutel an dem Umbau des Wirtschaftssystems beteiligen könnten?
These 1: Fairer Handel klingt unsexy
Das Schlagwort „Fairer Handel“ ist auf jeden Fall nicht das, was in den heutigen jüngeren, engagierteren Gruppen aktivistischen Polit-Willen hervorruft. Auf der einen Seite die Konsum- und Kapitalismuskritik, die Bestrebungen die Wirtschaft und unsere Beziehungen zu Mensch und Umwelt umzubauen, auf der anderen Seite der Verkauf von im Vergleich teurere Produkte und das Bestreben, diese salonfähig zu machen – ein Dilemma. Ist die Weltladen-Bewegung zu dem Vorwurf sprechfähig, dass gerade die jüngeren Gruppen, die sie ansprechen wollen, sich ihre Produkte mit dem mageren Geld, dass einem zum Anfang eines Erwachsenenlebens zur Verfügung steht, kaum leisten können? Reicht es, auf individuelle Konsumentscheidungen aufmerksam zu machen?
Weltläden setzen sich für politische Forderungen wie das Lieferkettengesetz ein. Sie setzen mit politischen Aktionen Zeichen gegen das Immer Mehr und Immer Schneller, wie die fastfashion-Philosophie und den Preiskampf von Lock-Angeboten in Supermärkten. Doch der Bewegung fehlt es, ihre politischen Forderungen sichtbarer nach außen in den Mainstream zu tragen, um zu verdeutlichen, dass sie eben nicht nur „schöne“ (oder unförmige, je nachdem, wen man fragt) Produkte verkaufen. Sie setzt Pioniersimpulse für gerechtere Welthandelsstrukturen, schafft es aber kaum, diese Botschaften über denen der individuellen Konsumentscheidungen hinaus zu transportieren.
These 2: Engagement im Zeichen der Zeit
In Zeiten multioptionaler Mobilität und Schnelllebigkeit entscheidet sich eine Anfang 20-jährige Person kaum dazu, sich für einen längeren Zeitraum für Engagement zu verpflichten. Engagement scheint immer mehr Anlass- und Projektbezogen zu werden und somit in kürzeren und intensiveren Zeiträumen stattzufinden. Weltläden sind darauf nicht immer vorbereitet. Eingependelt in langfristig organisierten Strukturen, reagieren maximal einzelne Weltläden auf kurzfristige, politische Entwicklungen und Trends.
Außerdem gilt: Wo meine Freund:innen sind, gehe ich gerne hin. Ohne Jüngere im Weltladen werden auch kaum weitere Jüngere hinzukommen.
These 3: Fairer Handel muss Synergien aufzeigen
Der Faire Handel der Weltläden ist feministisch, setzt sich mit dekolonialen Strukturen auseinander und ebnet Wege für klimagerechten Welthandel. Aber weiß das irgendjemand außerhalb der Bewegung?
In Zeiten, in denen Social Media und populistische Parteien komplexe Sachverhalte auf ein absurdes Maß simplifizieren, müssen viele Bewegungen deutlicher machen, warum ihre Anliegen weiterhin wichtig sind. Auch wenn viele dieser Botschaften seit jeher auf den Fairen Handel zutreffen, ist es sinnvoll, sie prägnanter mit aktuellen Strömungen zu verknüpfen. Weltläden könnten bspw. ein wichtiger Baustein einer Degrowth-Gesellschaft werden. Oder sich gemeinsam mit Solidarischen Landwirtschaften dafür einsetzen, dass regionale und globale Lebensmittel unter ähnlichen Bedingungen produziert werden. In einem Weltladen wird das so wahrscheinlich selten formuliert.
Schwierig bleibt dabei natürlich, die Anliegen nicht durch andere Nachhaltigkeitstrends zu verwässern und trotzdem Koalitionen mit sich ergänzenden Bewegungen zu wagen.
Besuch im Weltladen
Weltläden sind trotz ihres Alters überraschend lebendige Austausch- und Pioniersorte, bei denen es sich lohnt, gerade wegen der vielfältigen Engagementmöglichkeiten vorbeizuschauen. Viele Weltläden sind auf frische Ideen, Social-Media-Expert:innen, Umsetzer:innen politischer Aktionen oder auch Laden- und Fashion-Berater:innen angewiesen. Gespräche zu Lebenstipps und Diskussionen um den Zustand der Welt aus Sicht verschiedenster Generationen sind dabei inklusive. Probiert es aus und besucht einen!
![Weltladen-Dachverband/ C. Albuschkat](https://static.wixstatic.com/media/fcfb3e_4c81cd27bf784bceb50eba1f42127fc2~mv2.jpg/v1/fill/w_980,h_1470,al_c,q_85,usm_0.66_1.00_0.01,enc_avif,quality_auto/fcfb3e_4c81cd27bf784bceb50eba1f42127fc2~mv2.jpg)
Ich diskutiere gerne über meine Thesen, nehme Feedback entgegen oder berate euch zu Weltladenkooperationen. Dafür erreicht ihr mich unter fairhandelsberatung@elan-rlp.de.
Zur Autorin:
Lisa Brokmeier arbeitet im entwicklungspolitischen Landesnetzwerk Rheinland-Pfalz ELAN e.V. in Mainz als Fair-Handels-Beraterin. Dafür berät sie Weltläden und Fair-Handels-Initiativen in der Region. Sie hat Bildung für nachhaltige Entwicklung studiert, interessiert sich für gesellschaftliche Utopien und Transformationsinitiativen.
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