Ein Seminarbericht über die Arbeit von Nancy, Philip und Christian
von Paul Kühn
In diesem Blogbeitrag geht es um Purpose-Unternehmen und ihren potenziellen Beitrag zur sozial-ökologischen Transformation. Gemeint sind hier Unternehmen in Verantwortungseigentum, die sich einem Sinn verschreiben und jeglichen Gewinn als Beitrag zur Erfüllung ihres Sinns (Purpose) verstehen. Meist lässt sich der Sinn mit einem bestimmten gesellschaftlichen Problem benennen.
„Eigentlich ist das Ziel einer Unternehmung, sich abzuschaffen. […] Es geht nicht mehr um maximalen wirtschaftlichen Ertrag, sondern um maximale Zielerfüllung.“
Philip Siefer, der Geschäftsführer von einhorn products GmbH, versteht sein Unternehmen als Problemlöser. Ist dieses Problem gelöst und somit der Purpose des Unternehmens erfüllt, wird das Unternehmen nicht mehr gebraucht. Der Transformationsprozess ist angestoßen und das Unternehmen muss sich infolgedessen auf die Suche nach einem neuen Purpose machen.
Gleichzeitig liefert dieser Blogbeitrag Einblicke in den Seminar-Alltag von Bachelor-Studierenden an der HfGG. Es wird gezeigt, wie eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den großen Fragen nach einer sozial-ökologischen Transformation im Seminar aussehen kann.
Der Rahmen
In einem Vertiefungsseminar des fünften Bachelorsemesters mit dem Titel „Transformatives Unternehmer:innentum“ hat sich im Dezember 2022 eine Gruppe von Studierenden mit der Frage nach dem Beitrag von Unternehmen zur sozial-ökologischen Transformation befasst.
Hierfür wurden kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs) als „Akteure des Wandels“ identifiziert und analysiert. Besonders im Fokus standen die sogenannten „Purpose-Unternehmen“. Diese Unternehmen haben eine Herausstellungsmerkmal: Sie befinden sich in Verantwortungseigentum.
Das bedeutet konkret, dass solche Unternehmen nicht für Profit verkauft werden können. Die Unternehmen gehören sich selbst und verschreiben sich rechtlich und langfristig einem Sinn (Purpose). Mehr noch entsagen die Unternehmen der Profitmaximierung: Jegliche Gewinne fließen in den Purpose des Unternehmens und werden in die Zukunft des Unternehmens investiert. Es können keinerlei Gewinne privat abgeschöpft oder ausgeschüttet werden.
Die Studierenden wollten herausfinden, welches transformative Potenzial in den Purpose-Unternehmen steckt. Hierfür wurden Praxispartner eingeladen, um in einen Dialog und wissenschaftlichen Austausch mit der Realwirtschaft zu kommen.
Die Praxispartner
In einem Interview-Format wurden die beiden Geschäftsführer Philip Siefer (einhorn products GmbH) und Christian Sigmund (Wildplastic GmbH) befragt. Beide sind Geschäftsführer und Mitgründer von Purpose-Unternehmen in Verantwortungseigentum.
Nach einer ausführlichen Vorbereitung auf Seiten der Studierenden entstand ein äußerst spannendes und für beide Seiten lehrreiches Gespräch.
Die Vorbereitung
Zunächst wurde im Seminar der Studierenden die vorzubereitende Lektüre diskutiert und die neuen Theorien der Transformation analysiert. Im Mittelpunkt stand die Frage nach dem möglichen Beitrag, den KMUs zu einer gelungen sozial-ökologischen Transformation leisten können.
Auf Basis dieser Diskussion haben die Studierenden Thesen aufgestellt, die konkrete Antwortmöglichkeiten auf diese große Frage darstellten. Anhand dieser theoretischen Annäherungen wurden daraufhin differenzierte Fragestellungen formuliert, um die vorher aufgestellten Thesen anhand der Erfahrungen der Gäste aus der Praxis zu beantworten.
Das Interview
Am darauffolgenden Tag interviewten die Studierenden des Seminars schließlich die beiden Geschäftsführer. Für den hochschulöffentlichen Termin schalteten diese sich digital direkt in den Seminarraum.
Das Gespräch wurde von der Seminarleiterin Nancy Frehse moderiert. Auch sie führt ein Purpose-Unternehmen in Verantwortungseigentum (Oktopulli GmbH). Den Hintergrund für das Interview erklärte die Dozentin so:
„Der Sinn dahinter ist es, […] im Rahmen eines wissenschaftlichen Seminars mit der Praxis zusammen zu kommen – weil wir über die die ganze Zeit sprechen, aber nicht mit ihr.“
Im Gespräch ging es um die Erfolge, Visionen und Hürden der Unternehmer bei dem Versuch, ihren Beitrag zur sozial-ökologischen Transformation zu leisten. Darüber hinaus wurden die Themen New Work, das Führungsverständnis der Geschäftsführer und eine Abkehr vom Wachstumsparadigma diskutiert.
Die vier wichtigsten Themenschwerpunkte des Interviews waren:
1. Die Vision
Der Purpose von Wildplastic:
Das Unternehmen von Christian hat es geschafft, eine Lieferkette für sogenanntes „wildes” Plastik aufzubauen, also Plastik, das jenseits von Recycling- und Müllverbrennungs-Anlagen in der Umwelt liegt. Sein Unternehmen kooperiert mit Sammelorganisationen im globalen Süden.
Da 79% des produzierten Plastiks als wildes Plastik endet, hat sich das Unternehmen den Purpose gesetzt, diesen Missstand aus der Welt zu räumen.
Der Purpose von einhorn:
Als Geschäftsführer des Unternehmens versucht Philip, das Unternehmen als eine Art Labor zu nutzen, um sein Transformationspotenzial auszuschöpfen. Ein Purpose des Unternehmens ist es, die hohe Abfallintensität von Menstruationsartikeln einzudämmen.
2. Die Arbeitsbedingungen:
Philip setzt beim Thema New Work auf Experimentierräume. Seine Überzeugung: Es braucht ein stetiges Ausprobieren und Aushandeln der gemeinsamen Arbeitsbedingungen, um eine möglichst für alle zufriedenstellende Lösung zu finden. Auch das Modell Verantwortungseigentum ist Teil einer New Work-Arbeitskultur, da alle gleich zum Erfolg des Unternehmens beitragen. Es kann sich niemand individuell und auf Kosten der anderen bereichern.
Die Frage nach der Neuausrichtung der Arbeit und nach der Idee von New Work beantwortet Christian damit, dass es keine Frage des „ob“ sei. Vielmehr sei es eine Frage des „wie“, also der Umsetzung und Ausgestaltung. Das bedeutet für ihn auch, Widersprüche aushalten zu können. Denn zeitgleich Lieferketten aufzubauen, neue Finanzierungsmodelle zu erfinden, ein neues Arbeitsparadigma zu etablieren und ein gutes Leben zu führen, all das ist sehr viel gewollt. Purpose-Unternehmen, die einen guten Beitrag leisten wollen, müssen demnach lernen zu Priorisieren und Ziele langfristig denken.
3. Die Hürden
Im Gespräch stellte sich eindeutig heraus, dass externe Sachzwänge und das Wachstumsparadigma den angestrebten Wandel erschweren und Transformationsprozesse hemmen.
Christian betont, dass es andere Gesetzesregelungen für einen wirklichen Wandelprozess in seiner Branche braucht. Konkret bräuchte es dringend ein neues Mehrweg-Gesetz. Recyclingunternehmen sprechen sich zurzeit dagegen aus, weil es deren Unternehmensinteressen widerspricht. Die Begründung: Die Forderungen seien „zu ambitioniert“.
Die größte Hürde, die Philip sieht, sind ebenfalls die gegebenen Rahmenbedingungen für Unternehmen. Durch den gesetzten Purpose, übermäßigen Abfall zu vermeiden und Wegwerfprodukte abzuschaffen, schadet sich das Unternehmen wirtschaftlich selbst. So fährt das Unternehmen etwa eine Kampagne zur erhöhten Nutzung von Menstruationstassen. Das ist ganz im Sinne ihres Purpose – nicht aber im Sinne der Profitlogik. Nutzt mensch erst einmal eine Menstruationstasse, müssen jahrelang keine abfallintensiven Tampons mehr gekauft werden – auch keine von einhorn. Eine Abkehr von Wegwerfprodukten bedeutet also Verzicht auf Umsätze und Verkäufe.
Daraus folgt: Die Lösung von Problemen wie diesen wird vom bestehenden System nicht gefördert. Im Gegenteil: Die Abkehr vom maximalen Profit erschwert die eigene Arbeit. An dieser Stelle wird für Philip deutlich, dass wir das gesamte System umdenken müssen.
4. Die Rolle des Unternehmens im Transformationsprozess
„Als Unternehmen, das etwas anders macht, bekommt man Aufmerksamkeit.“
Philip beschreibt, dass das Wirken aus einer Nische in eine gesamte Branche hinein möglich ist. Eine Erfolgsgeschichte hat er in der Kondom-Industrie erlebt:
Nachdem sein Unternehmen Kondome vegan hergestellt und mit entsprechendem Label vermarktet hat, sind viele weitere Unternehmen nachgezogen. Sie haben einen Druck verspürt, sich ebenfalls als „nachhaltig“ verkaufen zu müssen. Konsument:innen sind durch die Produkte von einhorn erst auf bestimmte Missstände in der Branche aufmerksam geworden. Auf diese Weise wurden viele Kondommarken vegan und Tierversuche in der Branche konnten größtenteils beendet werden.
Das Vorhaben von Wildplastic begreift Christian als ein Puzzlestück eines größeren Transformationsprozesses. Er hat nicht „die Lösung“ gefunden, denn komplexe Probleme werden nicht durch vereinzelte Veränderungen gelöst. Wildplastic hat ein Problem identifiziert und analysiert. Auf diese Weise kann ein sinnvoller Beitrag zur Lösung geleistet werden.
Für ihn brauche es Synergien und Kooperationen, die es ermöglichen, gemeinsam den notwendigen Wandel anzustoßen. Handlungsmacht entsteht vor allem durch das Zusammenwirken mit anderen Akteuren des Wandels.
Die Key-Learnings
Folgende Aspekte sind den Studierenden durch das Seminar und das praxisnahe Studieren deutlich geworden:
Purpose-Unternehmen haben das Potenzial dazu, einen großen Beitrag zur sozial-ökologischen Transformation zu leisten.
Mit ihrer Nischenposition und innovativen Arbeitsmethoden können sie Aufmerksamkeit generieren und eine andere Wirtschaftsweise erfahrbar machen.
Auf diese Weise wirken sie potenziell in ganze Branchen hinein und können eine Vorbildfunktion einnehmen.
Insbesondere Unternehmen in Verantwortungseigentum gehen hier mit gutem Beispiel voran und ermöglichen dringend notwendige Transformationsprozesse.
Gleichzeitig existieren hohe Erwartungen und ein enormer Druck auf diese Unternehmen. Die Rahmenbedingungen für gelingendes Wirtschaften und die Sachzwänge, denen alle Unternehmen unterliegen, müssen aufgebrochen werden, um den Wandel einzuleiten.
Literatur
Purpose Stiftung (Hrsg.) (2020): Verantwortungseigentum Unternehmenseigentum für das 21. Jahrhundert. Abrufbar unter: https://purpose-economy.org/content/uploads/purpose_book_de.pdf
Schneidewind et al. (2012): Der Beitrag von Unternehmen zur großen Transformation. In: Hahn, Rüdiger/Janzen, Henrik/Matten, Dirk (Hrsg.): Die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens : Hintergründe, Schwerpunkte und Zukunftsperspektiven. - Stuttgart : Schäffer-Poeschel, 2012. S. 497-528.
Stefanie Hiß / Sebastian Nagel (2017): Unternehmen als gesellschaftliche Akteure. In: Handbuch der Wirtschaftssoziologie, S. 331 - 348
Pfriem et al. (2015): Transformative Unternehmen – Veränderungen des gesellschaftlichen Wirtschaftens. In: Ökologisches Wirtschaften 3/2015, S. 18-20
Wo ist der Unterschied zwischen purpose verfolgen um dann ein neuen purpose zu verfolgen und einer klassischen Profitlogik, die genauso stets neue Märkte erschließen will. Erst produziere ich Verbrenner, dann E-Autos, dann Fahrräder - Hauptsache ich produziere. Diese Wachstumslogik funktioniert in einer Welt mit endlichen Ressourcen nicht.
Ferner sehe ich bei Einhorn auch eher das klassische Verhalten eines Unternehmens - a) Pioniere einer Idee wegbeißen (2 girls hatten via einer Petition bereits die Abschaffung der Luxussteuer forciert und wurden von Philip s. dann hängen gelassen der sich die Idee zu eigen machte) und b) kontinuierlich Märkte erschließen zum Selbsterhalt.
Das klingt nach einem richtig tollen Seminar! Danke für den Einblick! Mich würde interessieren, ob ihr das Thema des Experimentierens bzw. Ausprobierens als Modus der Transformation angesprochen habt und was die beiden Unternehmen dazu berichtet haben. Ich vermute, hier liegt ein echter Hebel, für den es aber eine bestimmte Haltung braucht.
Spannend wöre natürluch auch von Gästen zu erfahren, was sue in diesem Seminar bzw. im Austausch mit euch gelernt haben.