von Yelva Janousek
Der Begriff Schwarz wird oft als Selbstbezeichnung von Menschen afrikanischer und afro-diasporischer Herkunft benutzt. Das großgeschriebene „S“ wird bewusst gesetzt, um eine sozio-politische Positionierung in einer mehrheitlich weiß dominierten Gesellschaftsordnung zu markieren und gilt als Symbol einer emanzipatorischen Widerständigkeitspraxis.
Schwarz und weiß sind hierbei nicht als Hautfarben, sondern als soziale und politische Konstruktionen in einem globalen Machtgefüge zu verstehen. So ist die Selbstbezeichnung Schwarz eine Form der Selbstermächtigung, die ebenfalls in der Abgrenzung von dem Begriff „nicht-weiß“ vollzogen wird.
Worte für mich
Ich kämpfte mich durch einen Strom von Worten, geschrieben von gleichaussehenden, weißen Männern. Ich war auf der Suche nach Bestätigung von meinen eigenen Beobachtungen in ihren Texten. So habe ich es gelernt. Das macht meine Gedanken valide, so verleihe ich meinen Worten Anerkennung.
Doch dann erfasste mich die Übermütigkeit einer Schwarzen lesbischen Person, die mich drei Tage lang durch die akademischen Hallen begleitete. Sie schritt mit einer trotzenden Selbstgewissheit durch die Universitätsräume, wie ich es zuvor nie erlebt hatte. Mit eben dieser Entschlossenheit nahm die besagte Person Wörter aus der akademischen Welt und brachte diese in die Welt nach draußen. Inspiriert von ihrem Vorgehen versuchte ich, es ihr gleichzutun. Vorsichtig nahm ich mir ein Wort und verfiel dann aber sofort dem Dopamin. Hastig steckte ich weitere Worte in meine Tasche, angetrieben von einer Wut, die Rache suchte und Ausgleich begehrte. Erst zu Hause erkannte ich all die Möglichkeiten, die mir diese Beute eröffnete – ein Triumph. Die gestohlenen Worte eignete ich mir an, und ich wurde reichlich belohnt. Denn auf diesem Pfad lernte ich Audre Lorde kennen. Ihre Worte waren anders. Sie spendeten mir Trost und gaben mir Kraft. Mut erwuchs aus ihren Botschaften. Diese Worte möchte ich nicht stehlen, sondern mit Hingabe ehren.
Worte des Widerstands
Im vergangenen Winter der Pandemie war es bitterkalt, und an vielen Orten herrschte Schimmel, bedingt durch Heizkostensparen und weniges Lüften. In Mützen und übereinander geschichteter Kleidung versammelten wir uns zu dritt vor unseren Bildschirmen in einem digitalen Raum. Der Grund unserer Zusammenkunft war das Buch 'Sister Outsider' von Audre Lorde. Ihre Worte fesselten mich in dieser kalten Zeit. Mein Kopf stieg in 4 bis 5 neue Dimensionen auf, während der Rest meines Körpers von warmer Güte überflutet wurde.
Audre Lorde schrieb über Poesie: „Poesie ist kein Luxus“. Poesie sei lebensnotwendig für Marginalisierte, damit sie existieren können. Sie schreibt darüber, dass Worte einem einen persönlichen Zugang eröffnen können. Dies bestärkte mich in der Annahme, dass verschiedene Formen des kreativen Ausdrucks gegen epistemische Gewalt helfen können. Die Schulung des eigenen Ausdrucks ist Selbstverteidigung. Manchmal entstehen daraus Geschichten und dann irgendwann Traditionen.
Audre Lorde ist außergewöhnlich. Ich wünsche mir, dass ihren Worten liebevolle und respektvolle Aufmerksamkeit geschenkt wird. Audre Lorde hat widerständiges Schwarzes Wissen festgehalten – auch vor Ort in Deutschland. Ihr Wirken ist legendär, daher hoffe ich, dass wir alle ihre Werke sorgsam pflegen werden. Der Mut, die Hoffnung und der Schmerz, die ich in Audre Lordes Werken finde, verdeutlichen mir die Macht, die Worte haben können. Diese Erkenntnis half mir auch dabei, eigene Worte zu finden.
Ein Blick auf das Leben von Lorde zur allgemeinen Einordnung verrät uns folgendes:
Audre Lorde wurde am 18. Februar 1934 in Harlem, New York City geboren. Sie bezeichnete sich selbst als Schwarz, Lesbe, Feministin, Mutter, Dichterin und Kriegerin. Sie hinterließ einen bleibenden Eindruck in der Welt der Literatur und des Aktivismus. Ihre literarischen Werke zeichnen sich durch ihre tief gehenden Betrachtungen von sich überschneidender Unterdrückungsformen aus. Unter anderem beschäftigt sie sich mit Anti-Rassismus, Queer Theory, Feminismus und Behinderungen. Sie starb an den Folgen von Krebs am 17. November 1992 in St. Croix mit dem Namen Gambda Adisa. Ihr Einfluss und ihre Relevanz in der heutigen Welt sind ungebrochen. Sie bereiste viele verschiedene Länder und so war sie auch zwischen 1984 und 1992 mehrmals in Deutschland, insbesondere Berlin, wo sie eine Gastprofessur hatte. In dieser Phase wirkte sie an der Entstehung der Afrodeutschen Bewegung mit und prägte den Schwarzen Aktivismus in Deutschland, unter anderem durch ihre Vernetzungsarbeit.
Während ihrer Zeit in Berlin ist das Gedicht 'Winter in East Berlin 1989' entstanden. Es wurde in dem Gedichtband The marvelous arithmetics of distance: peoms 1987-1992 neben 38 weiteren Gedichten 1993 veröffentlicht. Das Gedicht bietet einen historischen Einblick aus einer Schwarzen Perspektive auf die Umbruchzeit in Berlin im Winter 1989. Thematisiert werden die politischen und sozialen Umstände dieser Zeit. Der beschriebene Zeitpunkt ist durch den Zusammenfall der Berliner Mauer geprägt. Ich lese den Text und habe das Gefühl, dass ich Audre Lorde auf einer Zeitreise in den Winter 1989 folge, während sie durch die historischen Straßen von Berlin läuft.
Das Gedicht "Ostberlin im Dezember 1989" von Audre Lorde
„Ostberlin im Dezember 1989“ beschreibt in lyrischer Form die Erfahrung von Schwarzen Menschen in Berlin während des historischen Umbruchs im Winter 1989. Es lässt sich räumlich sowohl westlich und östlich der Berliner Mauer verorten. Die im Gedicht genannten Straßen und Stadtteile habe ich in dieser Karte festgehalten:
Das Gedicht enthält verstörende Bilder von Gewalt und Tod. Es erinnert uns an tragische Todesfälle, darunter auch Kinder, die Opfer dieser fehlgeleiteten Aggression wurden und schafft einen Ort, ihnen zu gedenken.
Es geht um Angst und Trauer über die die Gewalt, die im öffentlichen Raum in Berlin ausgeübt wird, um die prekäre Lage der Schwarzen Gemeinschaften und den unerfüllten Wunsch nach Gerechtigkeit und Gleichheit.
Insgesamt hält dieses Gedicht die Realität von marginalisierten Menschen fest, die sie zur Zeit der Wende erleben und ruft zu Empathie und einer besseren Zukunft auf.
Rassismus und die damit einhergehende Gewalt gab es vor der Wiedervereinigung Deutschlands und ist auch noch heute präsent. Doch mit der damalige politischen Transformation veränderten sich Machtstrukturen sehr schnell in kurzer Zeit. Im Zuge der Wiedervereinigung wurde das Narrativ der deutschen Nation gestärkt. Der strukturelle Rassismus entwickelte sich mit dem Geschehen mit und nahm neue verstärkte Formen an. Audre Lorde liefert uns einen tiefen Einblick in diese Zeit und ruft dazu auf, diese Geschichte anzuerkennen und daraus zu lernen.
Sommer 2023
Als ich begann, diesen Text zu verfassen, war es warm. Globale Temperaturen erreichten Rekordwerte, und Feuer fraßen sich durch Landschaften und Orte. Die U-Bahn-Station, an der ich früher zur Arbeit ausgestiegen wäre, ist nun überflutet. Starkregen vermengt sich mit Angst und Tränen. Die Alternative für Deutschland gewinnt an Zuspruch in Umfragen, und die Öffentlichkeit ist empört. Doch das wieder neu aufkeimende Problem ist keineswegs plötzlich entstanden. Bereits vor vielen, vielen Jahren etablierte sich eine rassistische Haltung in Deutschland. Die entmenschlichende Klassifizierung nach Hautfarben wurde maßgeblich von Kant im deutschsprachigen Raum geprägt (El Mafaalani 2021). Diese Worte sind über 200 Jahre alt und haben sich so tief in Deutschland eingegraben, dass sie bis heute wirksam sind. Und das ist nur ein winziger Teil der deutschen Kolonialgeschichte.
Der kommende Winter 2023/24 erscheint düster, zwischen den letzten Strahlen der Spätsommersonne. Der Spiegel titelt im September: 'Schaffen wir das nochmal? Der deutsche Streit über die Asylpolitik’. Dazu wird ein diskriminierendes Bild abgedruckt. Da drängt sich die Frage auf, was das Rostock-Lichtenhagen unserer Zeit sein wird. (Während des Progroms in Rostock-Lichtenhagen 1992 war Audre Lorde in Deutschland und ihr offener Protestbrief an Helmut Kohl diesbezüglich wurde in der Presse veröffentlicht.)
Ich denke oft an den Teil meiner Familie, der unmittelbar neben Hanau wohnt und möchte einen magischen Schutzschild um sie alle bauen. Die meisten Menschen in Deutschland können mich, seitdem ich denken kann, fehlerfrei als 'irgendwie ausländisch' klassifizieren. Doch je müheloser Andere über mein Aussehen sprechen, desto schwerer fällt es mir selbst. Über mein Aussehen in deutschen Kontexten zu sprechen, bereitet mir Unbehagen. Die Macht der Worte erschreckt mich. Und wem gebe ich die Schuld? Natürlich auch den Nazis.
Trotz des blauen Anstrichs wird die AfD als “braun” bezeichnet. “Braun” ist eine Eigenbezeichnung von Nazis, aber sie werden auch von Außenstehenden so genannt. Bereits während der Weimarer Republik waren „Braunhemden“ ein Synonym für die Nazis. 1925 wurde braun ihre offizielle Farbe, um sich von den roten Kommunisten abzugrenzen. 1930 in München erhielt die Parteizentrale der NSDAP den Namen 'braunes Haus'. Selbst heute sprechen wir von 'braunem Terror'. Der 'braune Sumpf' brodelt noch immer, und die SA marschiert in ihren braunen Uniformen noch immer in unseren Köpfen. 'Braune Scheiße'.
Wenn ich sage, dass ich braun bin, meine ich etwas ganz anderes.
Mein Braunsein ist ein Grund zur Exotisierung bis hin zur Ausgrenzung. Dabei sind es meine braunen Haare, die ich abends kämme und sonntags einöle. Meine braunen Augen, die mich im Spiegel betrachten. Meine braunen Hände, die von den braunen Händen meiner Avo liebevoll gedrückt werden. An sicheren Orten ist braun einfach ein Teil von mir. Und genau das ist der Kontext, in dem ich sage: 'Ich bin braun'.
Bevor ich Audre Lorde kennenlernte, hätte ich diese Worte nicht niederschreiben können. Ich bin aufgeregt, dass sie jetzt vor mir stehen. Ich hoffe wir werden im Winter gut aufeinander aufpassen.
Yelva Janousek
Yelva studiert im Master „Ökonomie – Nachhaltigkeit – Gesellschaftsgestaltung“ an der HfGG und ist als Klimapolitische Sprecherin in der Kommunalpolitik tätig. Als Third Culture Kid pflegt sie gerne Gemeinschaftliches. Sie interessiert sich für die öffentliche Versorgung und Intersektionalität.
Literatur
Hintergrund
Der Artikel basiert auf einer Prüfungsleistung für das Modul "Studia Humanitatis - Kreativität und Gestaltung"
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