von Katarzyna Schwartz
„Uns bleibt keine Zeit. Wir müssen JETZT handeln.“
Nach zweieinhalb Jahren Fridays for Future (FFF) ist der Weckruf von jungen Aktivist*innen wohl überall angekommen. Dennoch geht der Klimaschutz schleppender voran als notwendig wäre. Das Wuppertal Institut gab 2020 zwar bekannt,dass das 1,5°C-Ziel noch zu erreichen sei.[i] Doch schon heute ist man skeptisch, ob das Vorhaben gelingen kann. DieDringlichkeit der Klimakrise scheint die größte Herausforderung zu sein, die Politik und Gesellschaft in Schockstarreversetzt. Sucht man nach den Verschleppern der Krise, trifft man auf eine massige Generation, die heute an der Macht ist:Die sogenannten Boomer. [ii] Geboren zwischen 1955 und 1969; charakterisiert als beständig, sicherheitsbedürftig,kompromisssuchend und konsumorientiert. [iii]
Genau diese Generation wird von ihren Kindern angeklagt. Millennials werfen Boomern vor, die Klimakrise zu ignorierenund „keinen Plan zu haben“. [iv] Und zurecht: Wenn man auf die Klimapolitik der Bundesregierung blickt, fragt mansich, ob diese den Ernst der Lage tatsächlich begriffen hat und sich darüber im Klaren ist, dass die eigens gesetztenKlimaziele es nicht schaffen werden, zum 1,5°C-Ziel beizutragen. Zwar konnten die Zwischenziele der Bundesregierungfür 2020 eingehalten werden, die darin bestanden, die Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Jahr 1990 um 40 % zusenken. [v] Laut Umweltbundesamt ist jedoch die Hälfte der Emissionsreduktion auf die Einschränkungen durch dieCorona-Pandemie zurückzuführen. [vi] Somit sind die Ergebnisse alles andere als das Zeugnis einer erfolgreichendeutschen Klimapolitik.
FFF verurteilt die Aktivitäten der Bundesregierung als geringfügig und fordert stattdessen ambitioniertere Klimapolitiksowie Deutschlands Klimaneutralität bis 2035. [vii] Den Weg darin sieht die Bewegung im Kohleausstieg bis 2030 undeiner Erhöhung der CO2-Steuer. [viii] Darüber hinaus fordert FFF einen systemischen Wandel, der die Umgestaltung desneoliberalen Wirtschaftssystems zu einem Wirtschaftssystem mit ökologischer Verantwortung vorsieht. [ix]
Der dringliche Appell der Jugend trifft auf die Trägheit der alten Politiker*innen. Soweit das gängige Narrativ. Aber scheint diese binäre Rollenaufteilung von jungen Watch-Dogs und alten Schuldigen in derKlimakrise nicht zu einfach und bequem?
Der dringliche Appell der Jugend trifft auf die Trägheit der alten Politiker*innen. Soweit das gängige Narrativ. Aberscheint diese binäre Rollenaufteilung von jungen Watch-Dogs und alten Schuldigen in der Klimakrise nicht zu einfachund bequem? Ich beginne mich zu wundern, warum eine junge Generation, die sonst für Diversität und gegenSchubladendenken einsteht, dieses simplifizierte Schwarz-Weiß-Denken in Kauf nimmt. Auf den folgenden Seiten willich der Frage auf den Grund gehen, warum man von einem Generationenkonflikt in der Klimakrise spricht. Ich frage, wases bewirkt, wenn man am Bild der polarisierenden Generationen festhält und entwickle Gedanken dazu, was es bewirkenkann, die vermeintlichen Streitpunkte beizulegen.
(Warum) existiert der Generationenkonflikt?
Wenn man den besagten Generationenkonflikt näher betrachtet, zeigt sich schnell, dass die vermeintlichen Frontenweniger verhärtet sind, als von den jungen Klimaschützer*innen dargestellt. Stattdessen wird lediglich das Unverständnisfür die Lösungsansätze der jeweils anderen Generation deutlich. Dieses gegenseitige Unverständnis ist mit der Disruptionin der Ordnung politischer Mitbestimmung zu erklären. „Disruption entsteht immer dann, wenn alte Systeme träge,selbstgerecht und zukunftsblind werden“. [x] Sie beschreibt also einen Bruch mit einer altbewährten Ordnung.
In der Klimadebatte wird die Ordnung der politischen Mitbestimmung disruptiert: „Die junge Generation fühlt sichbetrogen. Sie muss ausbaden, was vorherige Generationen mit ihrer Lebensweise angerichtet haben“. [xi] Kinder undJugendliche entlarven die Diskrepanz zwischen wissenschaftlichen Handlungserfordernissen und realpolitischen Zielen,die sich am Machbaren statt am Notwendigen orientieren. Da die Jugend aus Zukunftsprognosen, Klimaszenarios undsozioökonomischen Vorhersagen ihre eigene, dystopisch erscheinende Zukunft erahnen kann, hat sie einen stärkeren unddringlicheren Anspruch, die Klimakrise anzugehen als bisherige Klimaschützer*innen.
Da die Jugend aus Zukunftsprognosen, Klimaszenarios und sozioökonomischen Vorhersagen ihre eigene,dystopisch erscheinende Zukunft erahnen kann, hat sie einen stärkeren und dringlicheren Anspruch, dieKlimakrise anzugehen als bisherige Klimaschützer*innen.
So fordern die Jungen, das Tempo der notwendigen Veränderung rasant zu erhöhen und definieren dabei gleich dieSpielregeln der politischen Mitbestimmung um. Politik wird zunehmend durch jugendlichen Aktivismus und Social-Media-Kampagnen beeinflusst und nicht mehr allein der parlamentarischen Demokratie und den etabliertenMassenmedien überlassen. Diese Disruption von politischer Teilnahme kann Entscheidungsträger*innen überfordern – solässt sich zumindest die Reaktion des Bundestags interpretieren. Mittlerweile erkennen die demokratischenBundestagsabgeordneten die Klimakrise zwar an und wollen dem Ausstoß von Treibhausgasen und dessen Folgenentgegenwirken. Dennoch tun sie es auf ihre Weise: Langsam und beständig, durch das demokratische Austarieren vonMeinungen. Die Älteren können nicht nachvollziehen, dass die Jungen die etablierten politischen Hierarchien hinterfragenund sich von ihnen nicht die altbewährten Mittel der politischen Mündigkeit vorschreiben lassen. Die Boomer+ [xii]haben die Spielregeln des Systems angenommen, auch wenn sie es vielleicht nicht gut fanden. Sie haben gewartet, bisihre Stimme in der Hierarchie von Alter und Karriereleiter Gewicht erlangte. [xiii] Dass die Millennials darauf nichtwarten und die traditionellen Spielregeln und die damit verbundenen Machtdynamiken von Alter, Geschlecht, Herkunftund Karriere gar ablehnen, ist für viele Boomer+ unverständlich und teilweise empörend.
Der Bruch zum jeweils anderen politischen Ansatz ist nicht einseitig: Es sind nicht nur die Boomer+, die es nichtschaffen, die Jungen zu verstehen. Auch Millennials haben Schwierigkeiten, sich auf die Arbeitsweise der Ältereneinzulassen. Damit riskieren sie, den Nutzen des gegenseitigen Austauschs und Zuhörens zu verpassen. FFF willaufklären, läuft gleichzeitig aber Gefahr, die Expertise von Planer*innen und Behörden zu verkennen, die für dasErreichen von sektorübergreifender Klimaneutralität notwendig ist. Hier denke ich etwa an den Bausektor, demKlimaziele gesetzt werden, die für Architekt*innen und Ingenieur*innen der alten Schule teilweise unerreichbar scheinen.Teilweise lassen auch der Mehraufwand von Innovation und der hohe Ressourceneinsatz von neuen energetischerenBaustoffen die Fachleute an der Erfolgsaussicht von klimaneutralem Bauen zweifeln.
Um das gegenseitige Unverständnis zu kitten, sollten sich sowohl junge Klimaaktivist*innen als auch berufserfahreneKlimaschutzbefürworter*innen die Frage gefallen lassen, warum sie nicht daran arbeiten, sich gegenseitig zu verstehen.Es ist doch im gegenseitigen Interesse, die gegenüberliegende Seite je von ihrer Praxiserfahrung oder ihrem Mut zurInnovation zu überzeugen.
Was bewirkt es am Generationenkonflikt festzuhalten?
Ich denke, man sollte zwischen dem politischen und gesellschaftlichen Generationenkonflikt differenzieren. Während derpolitische Vorwurf der Millennials berechtigt ist und erfreulicher Weise zu wirken scheint, birgt der gesellschaftlicheVorwurf an die gesamte Boomer-Generation Gefahren. Im politischen Raum haben die Freitagsdemonstrationen und derFFF-Aktivismus die dringliche Notwendigkeit für Klimaschutz und Klimagerechtigkeit sichtbar gemacht. Das Wohl derZukunft wurde als Werkzeug genutzt, um den älteren politischen Generationen Verantwortungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit vorzuwerfen:
„Unser Haus brennt und die Politik diskutiert: Das Löschwasser ist zu teuer.“[xiv]
„Wir streiken bis ihr handelt.“[xv]
Politisch hatte die Strategie bisher Erfolg. Sowohl die Bundesregierung als auch die EU-Kommission lenkten ein undreagierten (wenn auch mit zu dürftigen Antworten). Doch obwohl der Vorwurf politisch gemeint ist, schwappt er in eineKritik am Großteil der Gesellschaft über:
“Fightin’ for my grandkids and I’m only 15.”[xvi]
„Ihr zerstört, was uns allen gehört.“[xvii]
Damit wird nicht nur die Politik angeklagt, sondern auch weite Teile der Gesellschaft, die bisher auftreibhausgasintensivem Fuß gelebt haben und diejenigen, die die Klimakrise scheinbar noch immer gleichgültighinnehmen. Darüber hinaus trifft die Gesellschaftskritik der Millennials auch diejenigen, die das gleiche Ziel verfolgenwie FFF, es aber auf anderem Weg erreichen wollen. Die Kontroverse um Klaus Wiegandt, geboren 1939, ist einExtrembeispiel dafür. [xviii] Als ehemaliger Spitzenmanager hat er seiner Arbeit vor 22 Jahren den Rücken gekehrt undsetzt sich seitdem mit einer selbstgegründeten Stiftung für Klimaschutz ein. Seine Idee ist der ‚abiotische Ansatz‘, mitdem die Abholzung von Regenwäldern durch milliardenhohe Ausgleichszahlungen gestoppt werden soll. Der Kommentarvon FFF: Gut fürs Klima, gut für die Biodiversität, nicht förderlich für den Systemwandel: „Die Regenwaldrodungen mitZahlungen zu beenden, ist ein schönes Projekt für reiche, weiße Männer mit zu viel Geld wie Elon Musk oder Jeff Bezos.Die freuen sich, wenn Dinge passieren, die sie nicht weiter behelligen“. [xix]
So kommt die Frage auf, ob man als Teil der Gesellschaft gegen den anderen Teil der Gesellschaft demonstrieren kann,wenn man eigentlich auf der gleichen Seite steht? Ich sehe Luisa Neubauers Standpunkt in vielerlei Hinsicht ein. Es wirktzunächst heuchlerisch, wenn Reiche und Alte (und mehrheitlich Männer), die auf dem Rücken eines sozialunverträglichenund klimaverschmutzenden Wirtschaftssystems zu ihrem Erfolg und Geld gekommen sind, plötzlich die Welt rettenwollen. Fest steht auch, dass mit systemkonformen Strategien keine tiefgreifenden Lösungen erzielt werden können.
Nichtsdestotrotz rennt uns (allen gemeinsam) die Zeit davon. Die Boomer+ sind in Politik, Großkonzernen,Mittelstand und im Privaten noch ganze zehn Jahre an der Macht. Als Konsument*innen werden sie sogarnoch weitaus länger Einfluss auf das Ringen um Klimaneutralität haben. Wir können nicht abwarten, bis dieBoomer-Jahrgänge abgedankt haben.
Nichtsdestotrotz rennt uns (allen gemeinsam) die Zeit davon. Die Boomer+ sind in Politik, Großkonzernen, Mittelstandund im Privaten noch ganze zehn Jahre an der Macht. Als Konsument*innen werden sie sogar noch weitaus längerEinfluss auf das Ringen um Klimaneutralität haben. Wir können nicht abwarten, bis die Boomer-Jahrgänge abgedankthaben. Die Konsequenz daraus sollte Zusammenarbeit sein. Und: Dass man Boomern+ nicht prinzipiell abspricht, dass siesich sinnvoll für den Klimaschutz einsetzen können.
Anstatt Fronten aufzubauen, könnten wir also die Chancen sehen, die in einer gemeinschaftlichen Klimabewegungstecken. Parents and Scientists for Future sind bereits gute Beispiele, doch man kann weiter gehen. Stadt- undVerkehrsplaner*innen, mittelständische Unternehmer*innen, Lokalpolitiker*innen und private Konsument*innen sindweitere Zielgruppen, in denen Boomer überwiegen. Der 1960 geborene Zeit-Redakteur Bernd Ulrich sieht die Aufgabeseiner Generation darin, „die Disruptionsangst zu überwinden und die notwendigen Veränderungen selbstvoranzutreiben“. [xx] Dem lässt sich hinzufügen, dass die Aufgabe der Millennials wiederum darin besteht, weite Teileder Gesellschaft für den Klimaschutz wachzurütteln und für den gemeinsamen, gesamtgesellschaftlichen Einsatz zubegeistern.
Wie legt man den Konflikt bei?
Es bleibt die Frage, wie wir uns vom Generationenkonflikt lösen und ihn zu etwas Sinnvollem wenden. Dafür müssenGenerationen politisch und gesellschaftlich näher zusammenrücken.
Politisch
Politisch ist es vor allem an der älteren Generation, Zugeständnisse zu machen. Die Jugend sollte eine bessereMöglichkeit zur politischen Repräsentation erhalten. Angesichts der aktuellen Sitzverteilung im Bundestag ist das mehrals überfällig: Lediglich drei der 709 Mitglieder des Bundestags (MDB) sind 30 Jahre alt oder jünger. [xxi] Die größteGenerationengruppe bilden die Boomer mit 347 Abgeordneten. 73 MDB sind noch älter. Für eine repräsentativeDemokratie ist das inakzeptabel. Um dem Altersgefälle entgegenzuwirken, könnte daher eine Jugendquote im Bundestageingeführt werden, wie sie bereits in Marokko, Kenia und Uganda existiert .[xxii] Eine Jugendquote würde einerseits dazuführen, dass mehr jugendrelevante Themen in die politische Debatte gelangen. Darüber hinaus würde eine Quote sichpositiv auf die Selbstwahrnehmung und das politische Interesse von jüngeren Jahrgängen auswirken. [xxiii] Auch käme esdurch Jugendquoten zu mehr Diversität und Innovation in der Verhandlung politischer Interessen und Ideen derAbgeordneten. Dies lässt sich aus der ausgiebigen Literatur zu den Vorteilen von Zusammenarbeit zwischen Generationenschließen. [xxiv] Zaman et al. [xxv] zeigten beispielsweise durch ihre Studie zu Mehr-Generationen-Zusammenarbeit inForschungseinrichtungen, dass jüngere und ältere Generationen sich gut in ihren Fähigkeiten ergänzen: Während ältereMitarbeiter*innen besser über integriertes Wissen, eine Vernetzung, und eine höhere Kooperationsbereitschaft verfügten,brachten ihre jungen Kolleg*innen ein höheres Maß an Enthusiasmus, mehr Mobilität, Flexibilität und digitaleFähigkeiten mit. Diese Stärken lassen sich auch in politischer Entscheidungsfindung kombinieren, um zu besserenErgebnissen zu gelangen. [xxvi] Bernd Ulrich spricht in diesem Zusammenhang von den Fähigkeiten der Diplomatie undKompromissfindung auf der älteren Seite und dem radikalen Transformationswillen auf der jungen Seite. [xxvii] Klingtganz, also könnten beide Seiten voneinander profitieren. Man stelle sich beispielsweise vor, wie transformative Impulseletztlich umgesetzt werden können, weil sie beharrlich und diplomatisch verhandelt wurden.
Luisa Neubauer argumentiert, dass diejenigen in politische Entscheidungsprozesse eingebunden werden sollten, die dieKonsequenzen politischer Entscheidungen am längsten tragen werden. [xxviii] Dieser Vorschlag erlaubt den Gedanken,dass es in Parlamenten Repräsentant*innen der Zukunft geben könnte, wie sie zuvor schon in Ungarn oder Israel etabliertwurden. Anja Karnein und Juliana Bidadanure diskutieren diese Idee und prüfen sie auf ihre Legitimität. Karnein zeigtauf, dass es für eine*n Zukunfts-Repräsentant*in mehrere Hürden gibt. [xxix] Zum einen besteht das Problem derAutorisierung: Generationen der Zukunft können nicht von denjenigen gewählt werden, die sie repräsentieren wollen. Esgibt keine Möglichkeit, Legitimität zu erreichen, da die Autorisierung von kommenden Generationen stets in der Zukunftliegen wird. Darüber hinaus besteht das Problem der fehlenden Rechenschaftspflicht: Eine Repräsentanz für zukünftigeGenerationen muss sich vor niemandem verantworten und kann von den Repräsentierten nie für ihre Entscheidungenbelangt werden.
Um das Problem der unlösbaren Legitimität zu erfüllen, schlägt Jane Mansbridge das Konzept der SurrogateRepresentatives, also stellvertretende Repräsentant*innen, vor. [xxx] Diese können in politische Entscheidungsprozesseeinbezogen werden und die Interessen einer Gruppe vertreten, die bei den Verhandlungen nicht anwesend sein kann.Dabei sollten sie möglichst ähnliche Eigenschaften, Interessen und Bedürfnisse haben, wie die Gruppe, derenRepräsentanz sie übernehmen. Stellvertretende Repräsentant*innen zukünftiger Generationen sollten also so nah wiemöglich an den Interessen zukünftiger Jahrgänge liegen. [xxxi] Hierfür liegt das möglichst junge Alter alsSchlüsselkriterium für Stellvertreter*innen auf der Hand: Je jünger eine Person ist, desto näher ist sie auch denzukünftigen Generationen. Neben dem Alterskriterium sollte die Repräsentation auch demographische Prognosenberücksichtigen, um auch eine sozioökonomisch akkurate Proxy-Repräsentanz zukünftiger Generationen zu erreichen. Eswäre also durchaus denkbar, junge Menschen als Zukunfts-Repräsentant*innen in politische Entscheidungsprozesseeinzubinden.
Skeptiker*innen könnten die Frage aufwerfen, ob man sich denn sicher sein könne, dass der Jugend die Zukunft stärkeram Herzen liegt, als älteren Politiker*innen. Die Legitimität von jungen Menschen als Repräsentant*innen vonzukünftigen Generationen kann durch die Untersuchung von zwei wesentlichen Argumenten gesichert werden. [xxxii]Erstens sollten junge Menschen besser politisch repräsentiert werden, weil sie diejenigen sind, die die Zukunft (und denKlimawandel) länger miterleben (the higher stake argument). Es ist dieselbe Argumentation, die wir auch von FFFkennen. Menschen, die in 1953 geboren sind, erleben im Fall einer ungebremsten Erderwärmung in ihrem Leben einenglobalen Temperaturanstieg von 2,3°C. Der Jahrgang 1988 erlebt einen 4,5°C-Anstieg. Ein Kind, das 2013 geborenwurde, konnte zum Zeitpunkt seiner Geburt für seine Lebensspanne eine Erderwärmung von 6,3°C erwarten. Diedazugehörige Studie wurde zwei Jahre vor dem Pariser Klimaabkommen und dem gesetzten 1,5°-Ziel veröffentlicht.[xxxiii] Noch haben sich die Aussichten nur unwesentlich gebessert.
Als zweites Argument für junge Menschen als Zukunftsrepräsentant*innen kann man anbringen, dass junge Menschenmehr an zukunftsorientierter Politik und für die Nachwelt lebenswerten Zielen interessiert sind als ältere Menschen (thestronger concern argument).[xxxiv] Bidadanure bewertete das Potenzial des Verantwortungsbewusstseins jungerJahrgänge folgendermaßen:
Younger cohorts can be made to be more future-oriented through targeted educational programmes. Youth quotas couldplay a positive role in long-termist policies if younger cohorts were made more and more aware of the urgency of long-term challenges and were given the skills and inclusion required to play a constructive role in solving these complexissues. [xxxv]
Zwei Jahre nach Bidadanures These sehen wir Greta Thunberg auf der UN-Klimakonferenz in Katowice auftreten. Seitherzieht FFF weltweit mit Millionen von Kindern und Jugendlichen auf die Straßen, um für Klimaschutz undKlimagerechtigkeit einzutreten. Man kann wohl behaupten, dass Bidadanures Prognose eingetreten ist. Letztlich lässt sichfür die politische Ebene feststellen, dass ein Einbezug von jüngeren Generationen in politische Entscheidungsprozesseratsam ist. Die Optionen der Jugendquote im Bundestag oder der stellvertretenden Repräsentant*innen der Zukunfterscheinen dafür vielversprechend.
Gesellschaftlich
Auf gesellschaftlicher Ebene sehe ich vor allem die junge Generation in der Verantwortung, die Ansätze der Älteren inder Klimabewegung und den Einsatz für das gleiche Ziel anzuerkennen. Boomer müssen sich nicht grundsätzlich fürunsere Zukunft interessieren. Die 22-jährige Journalistin Yasmine M’Barek sagt dazu nüchtern: „Wir können von denBoomern nicht verlangen, dass sie […] ihre Immobilien verschenken und keine Kreuzfahrten mehr machen“. [xxxvi]Darauf lässt sich erwidern: Verlangen kann man es nicht, aber sie davon zu überzeugen, dass es das Richtige wäre, ginge.Dazu gehört aber auch, dass wir ihnen ihr Reich-, Alt-, und Männlich-Sein nicht prinzipiell vorwerfen, sondern ihrEngagement anerkennen und es gemeinsam nutzen. Denn letztlich leben wir in einer Demokratie. Auch wenn man mitAktivismus viel erreichen kann, heißt Demokratie in der Konsequenz, dass es für Klimaschützer*innen zwingendnotwendig ist, Mehrheiten zu gewinnen. Dafür werden alle Generationen gebraucht.
Für erfolgreichen Klimaschutz müssen wir daher als Gesellschaft eine vereinende Wertebasis stärken, für die sich dasgemeinsame Vorgehen lohnt: Die Legitimation für gemeinschaftlichen Wandel zu Klimaneutralität sollte auf Solidaritätberuhen. Für die Praxis bedeutet das, dass wir ein neues, solidarisches Zukunftsbild aufbauen müssen, das die Hoffnungenund Ziele hoch hängt und zum Mitdenken und empathischem Handeln anregt [xxxvii], statt mit Vorwürfen zu arbeiten.Wir müssen aufhören, uns als Gesellschaft gegenseitig Immoralität zuzuschreiben. Bei aller berechtigter Systemkritiküber ungeregelte Märkte und Wertschöpfungsketten, die Umweltzerstörungen und Menschenrechtsverletzungentolerieren, muss man sich fragen: Können wir es uns leisten, in der Zeit, in der wir am Systemwandel arbeiten,systemkonforme Klimaschutzangebote aus Prinzip auszuschlagen? Wenn also beispielsweise die Chance dazu besteht,Regenwälder vor dem Abholzen zu bewahren, dann erscheint mir das als akzeptabler Zwischenschritt. Denn diemateriellen Probleme dürfen durch die ideologischen Debatten nicht verschleppt werden.
Können wir es uns leisten, in der Zeit, in der wir am Systemwandel arbeiten, systemkonformeKlimaschutzangebote aus Prinzip auszuschlagen? Wenn also beispielsweise die Chance dazu besteht,Regenwälder vor dem Abholzen zu bewahren, dann erscheint mir das als akzeptabler Zwischenschritt. Denndie materiellen Probleme dürfen durch die ideologischen Debatten nicht verschleppt werden.
Neben diesem dringlichen Pragmatismus sollte der Systemwandel aber weiter angetrieben werden. Dabei spielenZukunftsbilder eine bedeutende Rolle. Wenn es gelingt, bestimmte Bilder über die Zukunft zu verändern, kann diegesellschaftliche Gegenwart und damit auch die politische Entscheidungsgrundlage beeinflusst werden. [xxxviii] Es gilt,das Zukunftsbild eines Wirtschaftssystems mit sozialer und ökologischer Verantwortung zu skizzieren. Besonders dieSozialverträglichkeit von Transformation muss in den Fokus der Debatte rücken. In der Konsequenz bedeutet dies auch,dass Transformation kein elitäres Projekt bleibt. Zwar sollten diejenigen Gutverdiener*innen stark in die Verantwortunggenommen werden, die bis dato einen besonders großen ökologischen Fußabdruck haben. Um aus dem Projekt ein sozial-ökologisches zu machen, sollte die Transformation jedoch gesamtgesellschaftlich gesehen werden. Unabhängig von derfinanziellen Lage muss es bessere Möglichkeiten und Anreize für alle Teile der Bevölkerung geben, sich klimafreundlicheOptionen zu leisten. Beispielhaft für das Außerachtlassen der Sozialverträglichkeit war die von Macron im Rahmen derfranzösischen Energiewende geplante Dieselsteuer 2018: In Frankreich formierten Demonstrant*innen daraufhin dieGelbwestenbewegung, die unter großem medialem Trubel im ganzen Land durch die Straßen zog. [xxxix] VieleMenschen konnten und wollten es sich nicht leisten, für Transformation höhere Steuern zu zahlen. Dies ist nur einBeispiel dafür, dass sozialunverträgliche Klimapolitik zum Scheitern verurteilt ist.
Der Transformationswissenschaftler Markus Wissen argumentiert, dass es für eine sozial-ökologische Transformationlangfristig einer stärkeren Unterstützung der Gesellschaft durch den Staat bedarf. [xl] Nur so könne sich eine Gesellschaftfür einen ökonomischen Systemwandel öffnen. Die Vision besteht darin, dass Ökonomie nicht mehr von derTauschwertorientierung und Profitmaximierung her gedacht wird, sondern an den eigentlichen Bedürfnissen derBevölkerung orientiert wird. Durch eine sozial-ökologische Gebrauchswertorientierung rücken Sorgedienstleistungen,Ernährung, Mobilität, Wohnen und Energie in den Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik. [xli] Der Markt allein kann denUmschwung aber nicht leisten, daher muss der Staat eine stärkere Rolle übernehmen. Für ein solches gemeinschaftlichesZiel des „Guten Lebens für Alle“ muss sich eine Gesellschaft jedoch demokratisch entscheiden.
Vom Weckruf zur Umsetzung
Der vermeintliche Generationenkonflikt in der Klimakrise liegt nur begrenzt in einer Konfrontation zwischen jungenKlimaschützer*innen und älteren Klimasünder*innen. Der zentrale Streitpunkt ergibt sich vielmehr aus den konträrenAnsätzen, die verschiedene Generationen zum Aufhalten der steigenden Erderwärmung verfolgen. Von Älteren oftpräferierte systemkonforme Vorschläge, wie zum Beispiel die Kompensation von Klimaverschmutzungen, prallen auf dieForderung der Jugend, sich vom neo-liberalen Wirtschaftssystem abzuwenden. Der heute mächtigsten Generation derBoomer sind die Forderungen der Millennials zu radikal. Die Millennials hingegen halten die Trägheit der Boomer-Politiker*innen für heuchlerische Symptombekämpfung eines systemischen Missstandes. Der Bruch der Ansätze istoffensichtlich. In Anbetracht der Dringlichkeit der Klimakrise müssen wir diesen jedoch überwinden und schneller undkonsequenter auf die Klimaneutralität zugehen. Politische Entscheidungsträger*innen müssen sich dieser Wahrheitstellen. Und diese darf auch laut, emotional, heftig und überzeugt sein.[xlii] Aber die Bewegung, die gerade aufschreit,um von der Politik gehört zu werden, muss auch Raum dafür lassen, dass man sich ihr anschließt (oder sich ihr bereitsangeschlossen hat, bevor Millennials überhaupt damit angefangen haben).
Der Aktivismus von FFF hat das Bewusstsein für die Klimakrise schon unheimlich weit gebracht. Aktivist*innenschaffen, dass man ihnen zuhört. Um vom Zuhören zum Umsetzen zu gelangen, muss jedoch noch mehr passieren: Diejunge Generation sollte noch stärker politisch eingebunden werden, und vor allem stärker im Bundestag repräsentiert sein,um sich auch direkt an zukunftsorientierter Gesetzgebung beteiligen zu können. Während der Generationenkonflikt in derPolitik durch eine stärkere Einbeziehung von jungen Menschen aufgelockert werden kann, sollten wir als Gesellschaftdarauf achten, dass wir uns durch gegenseitige Vorwürfe und Unverständnis nicht zu stark voneinander entfremden. Es istnicht tragbar, wenn die junge Generation prinzipiell alle Gedanken ablehnt, die zu systemkonform erscheinen. Damitriskiert sie, Entfremdung so weit zuzulassen, dass sich große Teile der Bevölkerung nicht ernst genommen sehen, sondernnur noch mit Vorwürfen konfrontiert werden. So kommt man weder dem Ziel des Klimaschutzes näher, noch hat dieserUmgang etwas mit gesellschaftlicher Solidarität und Gemeinschaft zu tun. Solidarität bietet uns als Gesellschaft einGrundgerüst, mit dem wir ein „Gutes Leben für Alle“ erreichen können. Klimaschutz ist der unumgängliche Weg dahin.Aber er ist eben nur der Weg.
Hintergrund
Im Rahmen der Ringvorlesung „Fight Every Crisis: Globale Perspektiven einer Post-Corona-Ökonomie“ hat es die Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung externen Studierenden ermöglicht, Prüfungen in Essayform abzulegen. Eine Auswahl der besten Arbeiten veröffentlichen wir hier nach Absprache und einem Redaktionsprozess mit den Autor:innen.
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