Von Alina Banse
Verflechtungen
»Ich habe 60 Jahre lang gründlich nachgedacht. Und die Schlüsselerkenntnis ist, zu verstehen: Nichts existiert unabhängig.«
(Dalai Lama)
Viele große und revolutionäre Denker:innen kamen bereits zu dieser Erkenntnis.
Dass „Alles mit allem zusammenhängt” war beispielsweise auch Alexander von Humboldts grundlegende Ansicht und zudem wesentliche Erkenntnis. Unsere Umwelt, gleich ob Artenvielfalt, Ressourcenschutz oder Klimawandel, sei im Zusammenspiel mit dem menschlichen Wirken zu betrachten. Er gilt manchen als erster Umweltschützer und Vater der Umweltbewegung. Er hat entdeckt, dass der Mensch das Klima verändern kann. [i] Er sah die Erde bereits damals als ein zusammenhängendes Ganzes und plädierte wie Goethe dafür, dass die Natur erlebt, gefühlt und beschützt werden müsse.
Ebenso wurden Charles Darwins Forschungen zur Evolutionstheorie maßgeblich von Humboldts Gedanken zu diesem Thema inspiriert und geprägt.
Darwin löste den Gedanken des statischen Gleichgewichts in Allem ab und erkannte, dass die Veränderungen auf der Erde dynamisch und voll ständiger biologischer Anpassungen sind. Eine sich stetig wandelnde Natur.
In dieser sich stetig wandelnden Natur sind wir Menschen auf eben diese angewiesen und ein unntrennbarer Teil dieses lebendigen Ganzen. Bereits vor 150 Jahren war Humboldt klar, dass Monokulturen, Kolonialismus, Sklaverei, Übernutzung natürlicher Ressourcen, Ausbeutung und die westliche Arroganz, der Natur und damit uns selber schaden.
Er erkannte bereits die Faktoren des anthropogenen Klimawandels.
In seinem damals neuen Naturverständnis erkannte er die Natur nicht als Ressource, sondern als lebendigen Organismus und fragiles Netz an. In einer Welt in der alles miteinander verbunden ist, ist es demnach leicht nachvollziehbar wieso wir heute in Zeiten einer Klimakatastrophe leben.
In seinem damals neuen Naturverständnis erkannte er die Natur nicht als Ressource, sondern als lebendigen Organismus und fragiles Netz an. In einer Welt in der alles miteinander verbunden ist, ist es demnach leicht nachvollziehbar wieso wir heute in Zeiten einer Klimakatastrophe leben.
Kann uns demnach ein ganzheitliches Naturverständnis so wie es Humboldt hatte, helfen, die Klimakatastrophe zu verhindern?
Leben wir aufgrund unserer anthropozentrischen Sicht- und Lebensweise, in einem neuen Zeitalter? Dem Anthropozän? Dieser Terminus wurde im Jahr 2000 von dem niederländischen Meteorologen und Nobelpreisträger Paul Crutzen geprägt und er bezeichnet das Zeitalter der planetaren Umgestaltung durch den Menschen. [ii] Ich frage mich, ob nicht jedes Zeitalter ein Anthropozän ist, weil es von uns aus gesehen ist?
Dazu ist es meiner Meinung nach wichtig, sich anzuschauen, welche Stellung der Mensch auf dem Planeten einnimmt. Kann die Natur noch ohne die Gesellschaft verstanden werden und vice versa? Ich denke nicht. Jedoch kann die Natur ohne die Gesellschaft leben, aber nicht andersrum. Meiner Auffassung nach ist die Gesellschaft ein Teil der Natur und kann nicht als unabhängiger Teil dieser verstanden werden. Die Gesamtheit des Planeten ist ein hochkomplexes, dynamisches System, welches als Ganzes eine Art Geist oder Bewusstsein hat und genauso wie der Mensch, das Tier oder die Pflanze, im Gleichgewicht oder Ungleichgewicht mit der es umgebenden und innewohnenden Natur leben kann. Die Existenz eines Bewusstseins wird jedoch nur angenommen, falls der Geist Gedanken bildet, die reflektiv auf sich selbst bezogen sind. Dass es ohne Menschen kein Bewusstsein gibt und diese Fähigkeit demnach als Einzigartigkeit dem Menschen zuzuschreiben, scheint mir zu einfach. Die Überlegung, dass lediglich Geschöpfe mit Verstand Bewusstsein besitzen, trennt uns ebenso von allen anderen Geschöpfen, sowie von der materiellen Substanz des Universums. Dadurch scheint es legitim alles andere Leben und jegliche Form von Materie auszubeuten. Bewusstsein ist denke ich in Allem enthalten und ein Teil des planetaren Seins. Die Erde ist nicht bloß ein Gegenstand, ein Selbst ist nicht nur im Menschen zu finden. Die Erde ist ein Selbst und ist beseelt. Es hilft sich dazu die Erde als ein Wesen zu betrachten, welches atmet, leidet, wächst und sich stetig verändert. Die Erde ist ein vollwertiges Wesen, genauso wie ein Mensch.
Die Erde ist nicht bloß ein Gegenstand, ein Selbst ist nicht nur im Menschen zu finden. Die Erde ist ein Selbst und ist beseelt.
Bezüglich des Anthropozän-Konzeptes ist denke ich, nicht die geologische Einordnung, sondern die politische Aussage von Relevanz. Einerseits stellt es die Menschheit auf einen Sockel, verdeutlicht die Annahme, die Spitze der Evolution und die Krone der Schöpfung zu verkörpern, andererseits kann es die Menschheit im umweltpolitischen Diskurs zum Nachdenken über ihr Verhältnis zur Natur und damit zu sich selbst anregen und stellt diese Krone damit in Frage und bringt den selbsternannten Sockel sehr ins Wanken.
Vielleicht wird der Menschheit, durch die gezwungenermaßen intensivere Beschäftigung mit der Mensch-Umwelt-Beziehung, aufgrund der momentanen Klimaverhältnisse und der Corona Pandemie, wieder bewusst, woher sie kommt und wohin sie zurückgehen wird. Letztendlich sind wir eine hochentwickelte Primatenart, ein Produkt der Natur, welches sich nach seinen Gesetzen und denen der Umwelt entwickelt hat und in Abhängigkeit zu seiner Umgebung steht.
Letztendlich sind wir eine hochentwickelte Primatenart, ein Produkt der Natur, welches sich nach seinen Gesetzen und denen der Umwelt entwickelt hat und in Abhängigkeit zu seiner Umgebung steht.
Nichtsdestotrotz finde ich den Einwand sehr wichtig, dass nicht die ganze Spezies Mensch für die momentanen Missstände und das Ungleichgewicht verantwortlich gemacht werden kann. Aus einer eurozentrischen Weltsicht ist es oft leicht, die ganze Menschheit mit ins Boot zu holen, wenn es um globale Schuldfragen geht, jedoch ist dies egozentrisch und kurzsichtig. Dieser eurozentrische Blick auf die Welt formt den Entwicklungsdiskurs, indem er Teilaspekte räumlicher Dimensionen konstruiert und nach seinem Bild bewertet. Die Welt wird in reiche Industrieländer des Nordens und in arme, sich sozioökonomisch auseinander entwickelnde Entwicklungsländer geteilt und somit wird ein bestimmtes einseitiges Weltbild geformt. Dies ist bei der Klimadebatte ebenso wichtig, da diese Brille auch in dieser aufgesetzt und dadurch bewertet wird. Somit ist die Debatte, ob wir in einem neuen Erdzeitalter leben, oder nicht, vor Allem für das Bewusstsein der kapitalistisch geprägten Industrieländer wichtig, um ein mögliches Nach- und Umdenken in Gang zu bringen. Die Multidimensionalität des Anthropozän Konzeptes und damit der räumlichen Dimensionen und Zusammenhänge menschlicher Aktivitäten, durch die globale Vernetzung, darf Strukturen der Ungleichheit, Hierarchieebenen, deterministische und westliche Erklärungen für Armut und Umweltzerstörung, nicht außen vor lassen.
Ich denke, dass wir in Zeiten des Umbruchs leben und es bei diesem Konzept, und des Gelingens seines politischen Einflusses sehr darauf ankommt, inwieweit soziologische und naturwissenschaftliche Visionen in Zukunft mit der Politik und der Technik in Einklang gebracht werden können.
Nachhaltiges Wachstum?
Nach eingehender Beschäftigung mit diesem Themenkomplex wurde mir klar, dass der Kapitalismus für einige einen massiven Reichtum geschaffen und im selben Atemzug den Planeten verwüstet und es nicht geschafft hat das menschliche Wohlergehen zu verbessern. Artensterben, Waldverlust und Verarmung durch menschliche Aktivitäten, wie die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, kommerzielle Landwirtschaft und Holzgewinnung, sind die Folgen. Klimawandel und Kapitalismus hängen demnach unzertrennlich zusammen. Der Zusammenhang zwischen endlosem Wirtschaftswachstum und Umweltzerstörung wird jedoch verschleiert. Das unerbittliche Streben nach Wachstum und die Gier sind Grundpfeiler unserer derzeitigen Situation. Ein neues System ist gefragt, eines das Wachstum mit Nachhaltigkeit in Einklang bringt.
Das unerbittliche Streben nach Wachstum und die Gier sind Grundpfeiler unserer derzeitigen Situation. Ein neues System ist gefragt, eines das Wachstum mit Nachhaltigkeit in Einklang bringt. Stopp. Ist das überhaupt möglich?
Stopp. Ist das überhaupt möglich? Gibt es ein nachhaltiges Wachstum, oder schließt Wachstum Nachhaltigkeit aus? Sind Ökonomie und Ökologie in Einklang zu bringen? Braucht es statt Effizienz nicht viel mehr Suffizienz? Reduktion statt Optimierung? Auf was verzichtet man bei einem suffizienten Lebensstil eigentlich? Ich denke, dass Verzicht in diesem Sinne lediglich bedeutet, auf ständiges Wachstum zu verzichten. Ich glaube, dass es keine Nachhaltigkeit ohne Suffizienz geben kann. Wenn mehr produziert wird als zuvor, kann dies nur auf Kosten der Natur gehen. Da wir als Spezies Gewohnheitstiere sind, ist Mut gefragt aus alten Strukturen und Lebensstilen auszubrechen. Auszubrechen aus der Fixierung auf Wirtschaftswachstum um jeden Preis.
Die entscheidende Frage ist demnach, ob es möglich ist angesichts des Verzichts auf ständiges Wachstum trotzdem unseren Lebensstandard zu erhalten, anstatt ihn auf Kosten der Natur und der Tierwelt zu mehren?!
Ich denke, dass nichts auf der Welt passiert, das uns nichts angeht, durch die Globalisierung haben kleinste Ereignisse globale Tragweite, das Ausmaß der Auswirkungen unserer Handlungen liegt die meiste Zeit außerhalb unseres Blickfeldes, jedoch wird auch unser Bewusstsein mehr und mehr durch die globale Vernetzung und durch die bestehenden Umweltkatastrophen beeinflusst und dies ist meiner Meinung nach auch ein Grund zur Hoffnung. Ökonomisches Wachstum als Alleinlösung zu statuieren, wird in Zukunft mit Sicherheit nicht mehr so einfach möglich sein, da mehr und mehr Menschen die Tragweite ihrer Handlungen und die untrennbare Verbindung zur Natur verstehen und erleben. Dafür verlangt es ein grundlegendes Umdenken und eine mondiale Verantwortung, sowie die Dringlichkeit und den Versuch öfter die Rolle des „Anderen” einzunehmen und sich Selbst in Bezug zu „dem Anderen” zu stellen.
Dazu könnte es helfen temporär seine eigene menschliche Subjektivität aufzugeben.
Es hilft meiner Meinung nach nur noch ein optimistischer revolutionärer Geist, welcher den produzierten Reichtum der Massen nutzt und interdisziplinär arbeitet um im Interesse der Menschheit und Natur Zukünfte zu gestalten.
Das „Andere”
Die Opazität, die Undurchdringlichkeit des Anderen für uns, oder umgekehrt, macht es der Menschheit meiner Auffassung nach schwierig, ethisch und empathisch zu handeln, da es der breiten Masse schwer fällt sich in die Rolle des „Anderen” hineinzuversetzen. Das „Andere” können andere Menschen, aber auch Tiere und Pflanzen sein. Man sollte sich immer seine eigene menschliche Subjektivität vor Augen führen und sich Selbst in Bezug zu „dem Anderen” stellen und den Versuch starten, die Rolle des „Anderen” einzunehmen. Die Welt aus deren Augen betrachten. Doch dazu ziehen wir die Grenzen unserer Persönlichkeit zu eng. Können wir jemals wirklich wissen, was im Geist eines anderen Menschen vorgeht oder eben gar in einem nichtmenschlichen Geist? Gibt es wirklich eine unüberbrückbare Kluft die Roboter, Spinnen, Insekten und andere „kluge“, aber in vieler Augen „geistlose” Lebewesen, von jenen Tieren, die ein Bewusstsein besitzen trennt? Könnte es sein, dass alle Tiere mit Ausnahme des Menschen tatsächlich geistlose Roboter sind? Oder besitzen alle Tiere, sogar Pflanzen und Bakterien einen Geist? Wird menschliches Bewusstsein tatsächlich erst durch die Zivilisation erworben? Und können wir wirklich sicher sein, dass alle Menschen einen Geist besitzen? Vielleicht bin ich ja der einzige Geist im Universum? Was für Arten von Geist gibt es und woher wissen wir das? Laut Dennett, liefert die Zugehörigkeit zu der Klasse von Wesen, die einen Geist besitzen eine überaus wichtige Garantie [iii].
Die Garantie einer gewissen Art von ethischem Rang. Nur Geisthabende können sich sorgen und von dem was geschieht betroffen sein. Menschen ordnen sich gegenseitig automatisch in die Klasse der Geisthabenden ein. Wenn wir uns also mit der Frage befassen wollen, ob Tiere einen Geist haben, müssen wir zunächst einmal überlegen, ob sie einen Geist besitzen, der in mancher Hinsicht unserem eigenen ähnelt, denn unser Geist ist der einzige, über den wir Bescheid wissen – jedenfalls bisher. Unser Geist ist der einzige, den wir von vornherein kennen, der Maßstab, bei dem wir beginnen müssen. Man kann nur schwer sagen, was jemand denkt, wenn er nicht darüber spricht, doch normalerweise nehmen wir von vornherein trotzdem an, dass solche unkommunikativen Leute einen Geist besitzen. Diese Schlussfolgerung legt nahe, dass es Wesen gibt, die einen Geist besitzen und uns nicht mitteilen können, was sie denken. Unser Königsweg, um den Geist anderer kennenzulernen, die Sprache, reicht zwar nicht bis zu ihnen, dies ist aber nur eine Einschränkung unseres Wissens, nicht aber eine deren Geistes. Dies ist der entscheidende Knackpunkt.
Man kann demnach eine Aussage aus der Sicht einer dritten Person über das tierische Bewusstsein machen, aber trotzdem nicht aus subjektiver Sicht wissen, wie es ist ein Tier zu sein. Das, was existiert ist also das eine und das was wir darüber wissen können, etwas ganz anderes. Laut Dennett könnte es Dinge geben, die vollständig jenseits unserer Erkenntnis liegen und deshalb müssen wir aufpassen, dass wir die Grenzen unseres Wissens nicht als sichere Anhaltspunkte für die Grenzen dessen ansehen, was existiert.
Wir können also nie mit Bestimmtheit wissen wo wir die Grenzen zwischen Lebewesen mit und ohne Geist ziehen sollten, jedoch ist dies nur ein weiterer Aspekt der unvermeidlichen Beschränkungen unseres eigenen Wissens. Alles Fremdseelische, also auch das Bewusstsein anderer Menschen ist nicht beweisbar und daher Spekulation und die moralische Gewissheit, dass unsere Mitmenschen ein Bewusstsein haben. Ich frage mich, warum man diese moralische Gewissheit nicht auch auf andere Lebewesen ausweiten soll und warum und wo man da die Grenzen zieht. Ebenso ob Grenzen nicht lediglich eine Erfindung unseres Verstandes sind, die uns das Leben einfacher machen.
Das Augenmerk liegt meiner Meinung nach zu oft und zu sehr auf den Unterscheidungen. Wie wäre es sich mehr auf die Gemeinsamkeiten zu konzentrieren?
Charles Darwin beispielsweise, widmete sein letztes Werk dem Erdwurm [iv].
Darwin begründete damit eine Tradition, die Intelligenz nicht bloß „höheren” Arten zuschreibt, sondern schon zuunterst auf der „scala naturae“ ansetzt. Wie Tiere denken oder fühlen, hängt also in sehr großem Maße davon ab, wie wir Menschen über Tiere denken. Der Standpunkt, dass wir andere Wesen so wahrnehmen „wie sie sind”, verhindert vieles.
Wie Tiere denken oder fühlen, hängt also in sehr großem Maße davon ab, wie wir Menschen über Tiere denken.
Ihre Fähigkeiten können wir nicht erkennen und erst recht nicht anerkennen. Bei Tieren als auch bei Pflanzen, sollte man versuchen, den Standpunkt derer einzunehmen und die Welt aus deren Augen zu betrachten. Wieso sollten wir unsere Fähigkeiten mit denen der Tiere und Pflanzen eins zu eins vergleichen und von uns auf andere schließen? Vielleicht ist es ja genauso wie mit dem Bewusstsein und dem Unbewussten; man könnte meinen ein Eisberg, Baum, oder Tier würden nur aus den 10% bestehen, die für uns sichtbar sind.
Studien belegen hingegen, dass auch Pflanzen ihre Umwelt wahrnehmen und untereinander und mit anderen Lebewesen kommunizieren [v]. Auch sie sind keine reglosen Materiebrocken, keine Bioautomaten, keine Zombies.
Meiner Meinung nach ist es an der Zeit sich von der menschlichen Absolutsetzung frei zu machen. Die Spezies Mensch sollte sich nicht auf einen Sockel stellen und sich als Spitze der Evolution und als Krone der Schöpfung ansehen. Wir sollten nicht vergessen, woher wir kommen und was wir letztendlich sind. Eine hochentwickelte Primatenart, ein Produkt der Natur das sich nach seinen Gesetzen entwickelt hat.
Wir sollten nicht vergessen, woher wir kommen und was wir letztendlich sind. Eine hochentwickelte Primatenart, ein Produkt der Natur das sich nach seinen Gesetzen entwickelt hat.
Außerdem sollten wir uns vielleicht auch etwas zurücknehmen und uns ins Bewusstsein rufen, dass Tiere vielleicht viel bewusster sind als wir. Sie verstehen den Augenblick, sie bewegen sich im Reich der Instinkte, was vielleicht nur heißt, dass sie auf ein viel größeres Wissensfeld zugreifen, welches uns durch unsere bequeme Art zu leben abhanden gekommen ist.
Unsere Gier und deren Auswirkungen
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich genauer anzuschauen, welche fatalen Auswirkungen unser falscher Umgang mit Tieren haben kann.
COVID-19, wie aus dem Nichts hat das Virus letztes Jahr der Menschheit Grenzen auferlegt. Eine Epidemie, die zur Pandemie und schließlich zu einer globalen Krise wird, war vorher undenkbar. Woher kommt es? Fledermäuse, Schweine, Hühner – immer häufiger springen Viren aus dem Tierreich auf die Menschheit über. Fledermäuse auf der ganzen Welt wurden gejagt und getötet, da man in ihnen den Überträger und „den Schuldigen” sah. Jedoch ist kein Tier Schuld an dieser Pandemie, sondern unser Kontakt mit ihnen. Normalerweise bleiben Viren im Körper der Tiere und diese wiederum in ihren Ökosystemen verborgen, ohne Menschen zu schädigen. Das Risiko einer Übertragung zwischen Arten entsteht erst dann, wenn Menschen in die Lebensräume von Tieren eindringen, diese für medizinische oder Nahrungszwecke verwenden oder sie in Kontakt bringen mit anderen Tieren, die dann wiederum als Zwischenwirte dienen. [vi] Kommt man infizierten Tieren zu nah, ist der Sprung auf den Menschen, also die Entstehung einer Zoonose, eine mögliche Folge. Aufgrund globaler Produktions- und Lieferketten sowie erhöhtem grenzüberschreitendem Personenverkehr kann dann eine Epidemie in nur wenigen Stunden zu einer Pandemie heranwachsen. Grund für Zoonosen, wie SARS, MERS, die Vogelgrippe und viele weitere Krankheiten, sind nicht die Tiere, sondern die Art und Weise, wie wir mit ihnen umgehen.
Wir dringen in ihre Lebensräume ein, pferchen sie auf engstem Raum mit Artgenossen oder anderen Wildtieren zusammen, bieten sie zum Verkauf an, experimentieren an ihnen, essen sie oder nutzen sie als Trophäen (ebd.).
Diese Zustände sind nicht auf Wildtiere beschränkt. Man muss sich nur die landwirtschaftliche Tierhaltung in Deutschland ansehen. Vorausgesetzt man kann dies aushalten. Sie werden herangezüchtet, auf maximale Leistung getrimmt, auf engstem Raum eingesperrt – zu nur einem Zweck. Um unsere Gier nach Fleisch und Milchprodukten zu befriedigen, obwohl längst bewiesen ist, welche gesundheitlichen Negativ-Folgen dies für uns hat. Die Tiere fristen ihr Dasein in ihren Exkrementen, junge Tiere landen tot wie Müll im Abfalleimer und die Tiere, die bis zur Schlachtung durchhalten, haben ihr kurzes Leben lang keine Möglichkeiten zur Bewegung oder Ausübung ihrer Bedürfnisse.
Die Tiere fristen ihr Dasein in ihren Exkrementen, junge Tiere landen tot wie Müll im Abfalleimer und die Tiere, die bis zur Schlachtung durchhalten, haben ihr kurzes Leben lang keine Möglichkeiten zur Bewegung oder Ausübung ihrer Bedürfnisse.
Schlachthöfe, welche während der Coronakrise geöffnet bleiben mussten, wurden zu Corona-Hotspots. Der Prozentsatz der mit dem Virus infizierten Schlachthofarbeiter:innen lag zwischen 40 und 60 Prozent. Menschliches Leid und Tierleid gehen also miteinander einher, sind so verflochten, dass sie sich gegenseitig verstärken (ebd.).
Diese konzentrierten Haltungsformen sind Brutstätten neuartiger Pathogene. Einem neuen Bericht der Farm Animal Investment Risk and Return (FAIRR) Initiative zu Folge, sollen 70% der weltgrößten, börsennotierten Fleisch-, Fisch- und Molkereiunternehmen nachweislich einem „hohen Risiko“ ausgesetzt sein, künftige Zoonosepandemien zu fördern (ebd.).
»Es gibt zwei Kategorien von Tieren. Die eine glaubt, dass es zwei Kategorien von Tieren gibt, und die andere hat darunter zu leiden.«
(Richard David Precht 2016). [vii]
Pandemien werden sich also häufen und weiter ausbreiten – außer wir verändern unseren Umgang mit anderen Tieren grundlegend.
Ist es nun nicht also an der Zeit, das Augenmerk auf die Faktoren die solch einer Krise zugrunde liegen zu lenken? Problematische Mensch-Tier-Interaktionen wie jene in Wuhan müssen eingeschränkt oder verboten, die Rodung von Regenwäldern und die Invasion von Menschen in tierliches Territorium eingestellt und die Natur nicht zerstört, sondern regeneriert werden (ebd).
Die globale Gesundheit, das massive Aussterben von Arten, ausgelöst durch die Veränderung der natürlichen Umwelt, den Verlust von Lebensräumen, den Abbau von Ressourcen, die weit verbreitete Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung und der Klimawandel – all dies hängt damit zusammen. Wirtschaftliche und politische Entscheidungen haben uns in diese Sackgasse geführt.
Krise als Chance?
Nun haben wir zwei Möglichkeiten, mit diesen Herausforderungen umzugehen: Entweder wir ändern nichts an unserem individuellen und kollektiven Verhalten und akzeptieren Pandemien als unsere ständigen Begleiter der Zukunft. In diesem Szenario müssten wir aber auch bereit sein, entsprechende Konsequenzen für die Gesundheitspolitik und Wirtschaft in Kauf zu nehmen. Ebenso müssten wir (weiterhin) das immense Leid, dass wir dadurch hervorrufen, verantworten können.
Eine zweite Möglichkeit ist, die aktuelle Krise als Chance zu sehen!
Hier und jetzt haben wir die Gelegenheit, diese durch staatliche Steuerung und ebenso durch individuelle Verhaltensänderung proaktiv anzugehen. Künftige Maßnahmen müssen durch einen demokratischen Diskurs entstehen, welcher durch hohe wissenschaftliche Standards unterfüttert ist. Teil dieses Diskurses muss auch das Mensch-Tier-Verhältnis sein. Nicht nur andere Tiere haben ein Interesse nicht mehr so wie bisher behandelt zu werden. Die Corona Krise hat deutlich gemacht, dass auch wir zwangsläufig ein Interesse daran haben, unser Verhältnis zu Tieren im Allgemeinen zu überdenken. Wie aber sollte es aussehen? Welchen Part sollen Tiere in dieser vom Menschen dominierten Welt spielen? Inwiefern müssen die Interessen von Tieren berücksichtigt werden – uns zuliebe und den Tieren zuliebe?
Eine zukünftige Welt ohne COVID-19 bildet dabei nur eine positive Facette einer Welt mit gerechteren Mensch-Tier Beziehungen (ebd). Dafür sind Mitgefühl und Empathie gefragt.
Ich bin der festen Überzeugung, dass es in der heutigen Zeit wohl eine der wichtigsten Aufgaben der Menschheit ist, sich mit der „unbelebten“, als auch mit der „belebten“ Umwelt auseinanderzusetzen und sich „bewusst“, als auch „unbewusst“ darüber zu sein, dass wir nur diese eine Erde haben und wir alle letztendlich Naturprodukte sind, die sich unterschiedlich nach ihren eigenen Regeln entwickelt haben am Ende doch alle miteinander verbunden sind.
»Keine Wahrheit scheint mir offenkundiger, als dass Tiere genauso wie der Mensch, mit Denken und Vernunft ausgestattet sind. Die Gründe sind in diesem Falle so offensichtlich, dass sie nicht einmal dem Dümmsten und Unwissendsten entgehen.«
(David Hume 1739). [viii]
Ein Planetares Bewusstsein
Auch wenn dies wichtig ist, was Hume bereits 1739 erkannte, sollte in unserer vernunftsorientierten Welt das Augenmerk mehr auf uns verbindende Gefühle und die uns gemeinsame Fähigkeit Freude und Leid zu spüren gelenkt werden.
Die Vorlesung von Prof. Dr. Silja Graupe über Verflechtungen und imaginierte Zukünfte hat mich sehr dazu inspiriert über Gesamtzusammenhänge zu schreiben. Ihr Appell eine Zukunft zu erschaffen und zu imaginieren, in der Leiden gelindert oder sogar abgeschafft wird, hat mich erträumen lassen, wie eine Welt aussähe in der jedes Lebewesen den gleichen Stellenwert und die gleichen Rechte zugesprochen bekommen würde. Ganz gleich welcher „Rasse“, Spezies oder welchem Geschlecht zugehörig. Es geht nicht mehr um das Überleben des Stärkeren, sondern um eine Erweiterung der Großzügigkeit gegenüber anderen Lebewesen! Die meisten Menschen denken, dass wir schlauer als die Natur, oder gar abgetrennt sind und dass Technologien uns retten werden. Ich denke keine noch so ausgeklügelte Technologie, sei sie noch so sehr in natürliche Systeme integriert, wird uns retten, wenn wir nicht mehr Mitgefühl und Empathie anderen Lebewesen und unserer Umwelt zuteil werden lassen.
Wir brauchen eine Welt, in der es ganz natürlich ist anzuerkennen, dass Tiere und Pflanzen genauso viel wert sind wie Menschen. Dass das Töten eines Tieres Mord ist.
Wir brauchen eine Welt, in der es ganz natürlich ist anzuerkennen, dass Tiere und Pflanzen genauso viel wert sind wie Menschen. Dass das Töten eines Tieres Mord ist.
Dass das Schlachten von über 73 Milliarden Tieren pro Jahr in der Massentierhaltung den größten Massenmord der Geschichte darstellt und Tiere ebenso Freude, Schmerz, Angst und Trauer empfinden wie wir Menschen. Tiere wie leblose Materie zu behandeln und auszubeuten ist ein Verbrechen und Fortschritt darf niemals auf Kosten der Natur geschehen.
Eine Welt in der kein Tier mehr in Massentierhaltung vegetieren und sterben muss, damit wir in einen saftigen Burger beißen, oder ein ungesundes Glas Milch trinken können. Was hat die deutsche Bratwurst mit dem Regenwald und dessen Rodung zu tun? Was hat ein Duschgel mit Tierversuchen an Affen zu tun? Was haben die Verabreichung von Antibiotika in der industriellen Nutztierhaltung mit resistenten Keimen zu tun? Wurde durch „Greenwashing“ nicht lediglich die Verantwortung für den CO2-Ausstoß vom Produzenten zum Endverbraucher verschoben? Was haben postkoloniale und rassistische Strukturen und das Patriachart mit der Klimakrise zutun? Was hat all das wiederum mit korrupter Politik zu tun?
Gesamtzusammenhänge die hoffentlich zukünftig keine Blackbox mehr darstellen und über die jeder Mensch Bescheid weiß.
Statt uns zukünftig von Pandemie zu Pandemie zu hanteln und multiresistente Keime zu züchten, sollten wir doch lieber unser Herz „einschalten” und den Kopf mal kurz „ausschalten”. Ebenso die Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts nutzen. Wir verfügen über alles, was nötig ist, um das Dasein eines jeden Lebewesens reich, vielfältig und erfüllend zu gestalten. Wir sind füreinander da – nicht gegeneinander. Die endgültige Abkehr von der industriellen Nutztierhaltung und von Wildtier-Märkten ist möglich. Tierschutz, der Schutz von Regenwald, Biodiversität, Insekten und dem Weltklima, als auch die Bekämpfung von Krankheiten, ein neues Verhältnis von Staat, Wirtschaft und Ökologie sind neben dem Leid, welches wir verursachen, nur einige Argumente dafür. Durch einen reduzierten Fleischkonsum und die Verringerung der Lebensmittelverschwendung könnten in Deutschland 67 Millionen Tonnen an Treibhausgasen eingespart werden. Die weltweit mögliche Reduktion durch klimaschonenden Ackerbau und bei der Tierhaltung könnte 2,3 bis 9,6 Milliarden Tonnen Treibhausgase pro Jahr betragen und durch die Umstellung auf eine solche Ernährungsweise ware es möglich, jährlich 11 Millionen Menschenleben zu retten. [ix] Die fünf größten Fleisch und Milchkonzerne emittieren mit 587 Mio. Tonnen – so viel klimaschädliche Gase wie der größte Ölmulti der Welt (Exxon) und erheblich mehr als Frankreich und Großbritannien. Ein Kilogramm Butter erzeugt 23,8 kg Co2-Emissionen, das entspricht 126 km Autofahren und 661 km Zugfahren. [x] Ohne Kurswechsel wird die weltweite Fleischproduktion bis 2028 von rund 320 Mio. Tonnen auf 360 Mio. Tonnen steigen. [xi] Dass das 1,5 Grad-Ziel, welches in Paris 2015 beschlossen, jedoch nicht umgesetzt wurde, könnte bedeuten, dass wir bis zum Jahr 2100 eher ein Plus von 3 bis 4 Grad Celsius erreichen werden. [xii] Eine Erderwärmung von 3 bis 4 Grad bedeutet das Ende der menschlichen Zivilisation, durch Dürre, Überschwemmungen, Missernten, Hungersnöte, tödliche Hitze, Kriege um Ressourcen und die verbleibenden Lebensräume.
»Ziviler Ungehorsam findet statt, wenn die Ungerechtigkeit zu groß wird. An diesem Punkt sind wir angekommen.« [xiii]
(Christina Figueres 2010-2016)
Diese Zahlen sprechen für sich, ich denke, dass das Schlagwort der Nachhaltigkeit in diesem Zusammenhang eine gesellschaftliche Entwicklung bedeutet, in der die Bedürfnisse heutiger Generationen befriedigt werden können, ohne die Bedürfnisbefriedigung kommender Generationen zu gefährden. Das bedeutet eine Chancengleichheit für alle derzeit auf der Erde lebenden Menschen und eine Erhaltung der Lebensgrundlagen innerhalb der planetaren Grenzen.
Ein Ausbau erneuerbarer Energien ist ebenso wichtig. Dabei darf zukünftig Klimaschutz nicht gegen Natur- und Biodiversitätsschutz ausgespielt werden. Die Bundesregierung räumt Gegenmaßnahmen gegen den stärker werdenden Klimawandel keine große Dringlichkeit ein, daher sollte man sich nicht auf die Politik verlassen, da diese sich an der Gesellschaft orientiert. Es braucht daher Pioniere in der Gesellschaft welche postwachstumstaugliche Lebensführungen vorleben. [xiv] Ebenso genügt es nicht aufzuhören Lebensräume zu zerstören oder zu fragmentieren, da die Aussterbeprozesse weiter gehen, wir müssen alle aktiv die Schulden abtragen und einen suffizienteren Lebensstil leben. Wiederaufforstung, regenerative Landwirtschaft und Meeresschutz-gebiete und Wassersanierung sind Beispiele um den Planeten großflächig zu heilen.
Intersektionale Klima- und Umweltgerechtigkeit sind zukunftsträchtige Schlagworte. Es braucht einen Systemwandel, ein System welches auf Liebe und Mitgefühl, sowie des gegenseitigen Verbundenseins aufgebaut ist, statt auf Angst und Leid. Für eine Welt mit mehr Liebe und revolutionärer Liebe. Ich schätze jeder Versuch das „Unmögliche” zu tun ist ein Schritt in eine bessere Zukunft und manchmal funktioniert es auch. Das was wir als möglich betrachten ist meist viel kleiner als das, was wirklich möglich ist.
Es braucht ein planetares Bewusstsein, welches eine Form spiritueller Einheit darstellt, welches unser Bewusstsein erneut sowohl zum Unbeseelten als auch zum Organischen auf unserem Planeten hin ausdehen kann und eine neue Wertschätzung gegenüber unserem Planeten erfordert. Ich denke, dass sich zu dieser Veränderung jeder frei entscheiden muss, um ein neues Verhältnis der Zivilisation gegenüber der Natur und dem gesamten Leben einzugehen – eine Liebesbeziehung. Die Hoffnung liegt in einem Sinneswandel und einem Erwachen der Liebe für das Leben und zu einem gesunden Planeten.
»Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.«
Hintergrund
Im Rahmen der Ringvorlesung „Fight Every Crisis: Globale Perspektiven einer Post-Corona-Ökonomie“ hat es die Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung externen Studierenden ermöglicht, Prüfungen in Essayform abzulegen. Eine Auswahl der besten Arbeiten veröffentlichen wir hier nach Absprache und einem Redaktionsprozess mit den Autor:innen.
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