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Kapitel 9 – Werbespots und ein Entschluss

Eine Kurzgeschichte, in der sich Ronja mit Gender Lens Investing auseinandersetzt

Von Paula Stoppelkamp



Wie jeden Tag laufe ich auch heute auf meinem Nachhauseweg an einer Leuchtreklametafel vorbei. Als ich bemerke, dass sie heute einen anderen Werbespot zeigt, bleibe ich stehen. Ich schaue hoch…



Eine junge Frau in Anzughose und weißer Bluse schaut mir lächelnd entgegen und fragt mit einer klaren, angenehmen Stimme:

„Kennen Sie schon Gender Lens Investing? Dieser neue Ansatz des Impact Investings ermöglicht es Ihnen, Ihr Geld nachhaltig anzulegen und dabei Gewinne zu erzielen. Investieren Sie in Frauen wie mich, denn wir brauchen Ihre Unterstützung!“

Die Frau läuft in einem imaginären Raum umher und weist auf Prozentzahlen, die an den Wänden aufploppen.

„Frauen in den USA gründen 40% aller Unternehmen, doch nur 6% davon werden als Start-Up mit Investitionen gefördert.[1] Dabei zeigen Studien, dass von Frauen gegründete Unternehmen 63% besser performen als Unternehmen, deren Gründer ausschließlich männlich sind.[2] Diversere Teams produzieren insgesamt bessere Resultate und sind innovativer: Indem Sie in Gleichstellung investieren, können Sie Ihre Profite steigern und dabei Gutes tun!“ [1] vgl. Roberts, 2016, S. 68, [2] vgl. VanderBrug/Quinlan, 2017, S. 83

Die Frau bleibt stehen und schaut selbstbewusst in die Kamera.

„Frauen denken außerdem langfristiger als Männer und sind weniger risikofreudig. So können Sie das Risiko in Ihren Anlagegeschäften reduzieren. Machen Sie sich diesen weiblichen Vorteil zu Nutze.“

Die Frau gestikuliert einladend.

„Frauen bergen nicht zuletzt ein großes ökonomisches Potenzial als Mitarbeiterinnen und Konsumentinnen, das ausgeschöpft werden will. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt zum Handeln!“

Die Frau lächelt gewinnend in meine Richtung.

„Vereinbaren Sie jetzt ein Beratungsgespräch bei ‚We fund women‘ und lernen Sie alles über das neue Tool Gender Lens Investing!

Unsere Telefonnummer lautet 069…“


Ich schaue weg. Gender Lens Investing? Noch nie gehört. Klingt spannend. Gleichstellung find ich super und wenn Gender Lens Investing Gleichstellung fördert, bin ich total dafür. Das muss ich direkt recherchieren.

Ich schlurfe an der Reklametafel vorbei und begebe mich auf direktem Weg nachhause. Durch den Park, über die Riesenkreuzung, ab durch die Wohnungstür und die Treppe nach oben in mein Zimmer. Dort setze ich mich an den Schreibtisch und schalte meinen Rechner an, der unter Piepen langsam hochfährt. Nach einer halben Ewigkeit kann ich Moogle öffnen und gebe ‚Gender Lens Investing‘ in die Suchleiste ein. Ungefähr 6.990.000 Ergebnisse – wow. Ich überfliege die Suchergebnisse und werde schnell fündig: ich finde eine Seite, die überblicksartig einige Infos zu Gender Lens Investing zusammenstellt und anscheinend auch feministische Aspekte aufgreift. Klick. Ich beginne zu lesen…


...


Ich schließe die Website, reibe mir über die Augen und werfe mich auf mein Bett. Ich starre an die Decke. Tausend Gedanken schießen mir durch den Kopf. Gleichstellung und der Finanzmarkt? Sogar einem blinden Huhn würde auffallen, dass da was nicht stimmt. Wenn die ganzen Kriterien für Gender Lens Investing wirklich so lax und auch noch freiwillig sind, wie soll man denn da überprüfen, ob die Initiativen wirklich Gleichstellung fördern oder nur ‚Genderwashing‘ betreiben? Klasse, dass jetzt auch Waffenlieferanten als ‚gender-friendly‘ gelten können. Und dass mir als Frau inhärente Charaktereigenschaften unterstellt werden, hat mir gerade noch gefehlt. Da fühle ich mich wie ein Objekt oder eine Maschine, die in den Arbeitsmarkt integriert werden soll, damit ich als Arbeitskraft und Konsumentin Geld in den Rachen von großen Unternehmen schmeiße.

Und was ist das, dieser Neoliberalismus? Nach dem, was ich in dem Blog-Artikel gelesen habe, scheinen seine Verfechter*innen feministische Anliegen zu verdrehen und für ihre Zwecke zu missbrauchen. Vielleicht sollten wir den Neoliberalismus erstmal hinterfragen, bevor wir Ansätze wie Gender Lens Investing verwenden, um Gleichstellungsfragen zu lösen. Vielleicht ist das in diesem System gar nicht möglich. Vielleicht müssen wir komplett umdenken, um strukturelle Diskriminierung zu bekämpfen. Ganz nach dem Motto „Bildet Banden“ müssen wir uns zusammenschließen und gemeinsam Pläne schmieden. Gegen Vereinzelung und für die Zusammenführung feministischer Kämpfe!

Erschöpft schließe ich die Augen. Es war spät geworden. Mein Computer brummelt angenehm im Hintergrund vor sich hin. Trotzdem wälze ich mich unruhig in meinem Bett hin und her und schlafe nach einer schier endlosen Zeit mit einem mulmigen Gefühl ein…

Ich laufe wieder an der Leuchtreklametafel vorbei und blicke hoch…

Die junge Frau in Anzughose und weißer Bluse von heute Nachmittag lächelt mir erneut entgegen. Ihr Gesicht wirkt allerdings maskenartig und ihre Mundwinkel zucken, so als könne sie das Lächeln nicht mehr lange aufrechterhalten. Sie ruft mir fröhlich ins Gesicht:

„Haben auch Sie die Ungerechtigkeiten in dieser Welt satt? Sie möchten etwas für die gute Sache tun und dabei spielend leicht Geld verdienen? Dann ist Gender Lens Investing genau das richtige für Sie!“

Die Frau hebt eine Hand einladend in Richtung Kamera, versucht ihr Lächeln zu bewahren und proklamiert:

„Frauen wie ich brauchen Ihre Hilfe – nutzen auch Sie Gender Lens Investing, um uns zu unterstützen und Gleichstellung voranzutreiben! Dann macht es auch nichts mehr, wenn in Ihrem Unternehmen Frauen weniger verdienen als Männer in der gleichen Position oder alle Bürokräfte weiblich sind!“

Die Frau zwinkert mir unter Anstrengung zu.

„Sie verkaufen Waffen und befeuern Kriege? Sie wollen Frauen eigentlich nicht den Rücken stärken, sondern nur Ihren eigenen Geldbeutel füllen? Hauptsache Sie kriegen Ihr Stück vom Kuchen ab? Gar kein Problem!“

Das Lächeln der Frau fällt beinahe, doch sie presst hervor:

„Kommen Sie zu ‚Money Matters‘ und lernen Sie Gender Lens Investing kennen – die einfachste Methode, Ihre schmutzigen Hände reinzuwaschen! Bei uns bekommen Sie nicht nur einen Ablassbrief für alles, sondern ein großes Stück vom Kuchen obendrein! Nur jetzt bei ‚Money Matters‘…“


Am nächsten Morgen brauche ich einige Minuten, um wach zu werden. Der Traum von letzter Nacht geistert mir noch im Kopf rum. Doch er hatte mir eins klar gemacht: so kann es nicht weitergehen! Ich spüre einen neuen Kampfgeist in mir aufflammen und fasse einen Entschluss. Nicht mit mir, liebe neoliberale und neoliberalisierende Kapitalist*innen!





Kapitel 9 – Ende

Im nächsten Kapitel erfahrt ihr, wie Ronja einer feministischen Gruppe beitritt, welchen Entschluss sie gefasst hat und wie man den besten veganen Kuchen backt, der bei keiner Revolution fehlen darf.


 

Hintergrund
Literatur



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