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Eine Lieferkette mit Muskelkraft

Wie eine Gruppe von Radfahrer:innen ein politisches Zeichen für fairen und ökologischen Kaffeekonsum setzt.


von Franziska Heimrich


"Die einzige Kette, die frei macht, ist die Fahrradkette." - Unbekannt

07:00 Uhr. Der Wecker klingelt. Schnell raus aus dem Bett und im Autopilot anziehen, Zähne putzen und währenddessen den Kaffee aufsetzen. Auf der Arbeit dann mit den Kolleg:innen gleich den nächsten Kaffee trinken. Am Nachmittag dann nochmal eine Kaffeepause, um auch die letzten Stunden auf der Arbeit noch wach zu bleiben.


So oder so ähnlich scheint der Tagesablauf für viele eine Selbstverständlichkeit. In Deutschland stieg der Pro-Kopf-Konsum von 2021 auf 2022 von 168 auf 169 Liter Kaffee pro Jahr. Die schwarze Flüssigkeit mit dem hohen Koffeingehalt gilt sowohl als alltägliches Überlebensmittel gegen Müdigkeit als auch als Genussmittel in geselliger Runde. Aber was hat es mit der unscheinbaren braunen Bohne eigentlich alles auf sich? Im Supermarkt kosten 500g gemahlenes Kaffeepulver zwischen sieben und neun Euro. Mit dem Kaffeekonsum gehen nicht nur ökologische Fragen des Transports einher. Auch die soziale Frage nach angemessenen und menschenwürdigen Arbeitsbedingungen entlang der Lieferketten darf nicht außer Acht gelassen werden.



Schild an einem Fahrrad: Die Kaffee Radeltour 2022.



Eine Gruppe Fahrradfahrer:innen der Initiative Wissen Leben e.V. versucht auf diese Fragen aufmerksam zu machen. Mit der öko-fairen Kaffee-Radeltour 2022 transportieren 13 Menschen 120 kg ökologisch produzierten, fair gehandelten und mit dem Segelschiff aus Nicaragua transportierten Kaffee mit der eigenen Muskelkraft quer durch Deutschland. Am 22. August machte sich die Gruppe vom Bremerhaven mit dem Kaffee im Gepäck auf. Das Ziel soll nach insgesamt 13 Tagesetappen die Vollversammlung der ökumenischen Kirche in Karlsruhe sein, wo sie mit den Besucher:innen über Klimagerechtigkeit diskutieren. Auf dem Weg machen sie in verschiedenen Städten halt und versuchen, mit Initiativen des Wandels und lokalen Akteur:innen des fairen Handels in den Austausch zu kommen. So trafen die Radler:innen am 30. August im Rathaus in Koblenz ein. Von der Akteursgruppe Fair Trade Stadt Koblenz wurden sie freudig empfangen und begrüßt. Ein gemeinsamer Abend war geplant.



Kaffeeübergabe


Nach herzlichen und anerkennenden Worten des Moderators Achim Trautmann (einen Artikel von ihm findet ihr hier auf dem Blog) kam Dr. Maiken Winter als Initiatorin und erste Vorsitzende des Vereins Wissen Leben e.V. zu dem Thema “Kaffee, Kapital und Klima. Wie alles zusammenhängt.” zu Wort. Sie berichtet über die vier Hintergründe und die Motivation ihrer Tour:


  1. Bewusstsein über den Konsum schaffen. Mit der Fahrradtour soll erlebbar gemacht werden, wie es sich anfühlt, ein solch wertvolles Produkt wie Kaffee mit der eigenen Körperkraft zu transportieren.

  2. Klimagerechtigkeit durch Fairen Handel in den Vordergrund stellen. Bei der Bewältigung der Klimakrise muss immer auch der Abbau von Ausbeutungsstrukturen im globalen Süden mitgedacht werden.

  3. Dringlichkeit zum Handeln deutlich machen. Das globale CO2 Budget ist in sechs Jahren aufgebraucht, wenn wir so weiter machen wie bisher. Das CO2 Budget sagt aus, wie viel CO2 die Menschheit noch in die Luft emittieren darf, um die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum Vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen und das Erreichen von planetaren Kipppunkten überhaupt noch verhindern zu können.

  4. Auf dem Weg neue Ideen sammeln, wie wir die Schönheit der Natur erhalten können.


Gruppenfoto


Anschließend berichtete der Mitinitiator der Tour Karl Mehl von Erfahrungen auf der Tour mit dem Schirmherrn und Postwachstumsökonomen Niko Peach, der die Gruppe im Ressourcenzentrum in Oldenburg in Empfang nahm. Außerdem erhielt die Gruppe spannenden Input zum Thema nachhaltige Finanzen und deren Rolle in der bevorstehenden sozial-ökologischen Transformation von Ulrike Lohr vom Südwind Institut für Ökonomie und Ökumene. Die Gruppe legt dieses Jahr inhaltlich den Schwerpunkt besonders auf Kapital und Finanzen. Aus diesem Grund ist auch ein Protest vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt geplant. Dabei möchte sie auf die zentrale Rolle der Finanzmärkte in Entwicklungsprozessen aufmerksam machen.


Nach dem Bericht der beiden Organisator:innen sollte sich die Debatte stärker den lokalen Initiativen in Koblenz widmen. Es entfachte eine lebendige Diskussion und ein Austausch über die Aktivitäten und Herausforderungen in Bezug auf Fairen Handel und Klimaschutz in Koblenz. Lokale Unternehmungen und Initiativen kamen zu Wort: Der Erfolg des Radentscheids als Antwort auf die “autogerechte Stadt Koblenz”, die Steuerungsgruppe der Fair Trade Stadt Koblenz sowie das Engagement im Weltladen zeigen, wie viel im Bereich Nachhaltigkeit und Fairem Handel in Koblenz passiert. Aber selbst angesichts dieses breiten Engagements und vieler Erfolgsgeschichten stellt sich auch hier Vielen die Frage: Wie viel liegt eigentlich in meiner eigenen Hand? Wie kann mein eigener Konsum überhaupt beitragen? Die Ungleichverteilung der begrenzten Macht des Individuums und der Übermacht großer Konzerne mit Lobby war an diesem Abend ein großes Thema.


Wie sich Geld als Tauschmittel wieder in den Dienst der Region und der Menschen stellen lässt, konnte man zum Abschluss dem Vortrag von Walter Grambusch (Regioverein Koblenz e.V.) entnehmen. Unter dem Titel “Die RegioMark Rhein-Mosel - Eine Regiowährung für Koblenz und Region” stellte er vor, wie Handeln im konkreten und direkt vor Ort möglich ist. Die Initiative zeigt, wie man mittels Regiogeld ein Bewusstsein für den wichtigen Stellenwert des regionalen Wirtschaftens bilden kann. Die RegioMarkRheinMosel ist eine Parallelwährung zum Euro, die nur in der Region zirkuliert. Sie ist eurogedeckt und gilt als Verrechnungseinheit zwischen den Mitgliedern des Regioverein Koblenz.


Inspiriert von der Energie und Tatkraft dieser Menschen fahre ich mit meinem Fahrrad nach Hause. In meinem Kopf Eindrücke darüber, wie viele Menschen sich in Koblenz und Deutschlandweit im Kleinen und im Großen für eine nachhaltige und gerechtere Welt organisieren. Es stellen sich mir verschiedene Fragen: Können wir im globalen Norden überhaupt noch Kaffee konsumieren? Wie sollen unsere Lieferketten der Zukunft aussehen? Fahren wir dann alle die Produkte mit dem Fahrrad durch die Gegend? Wer kann sich den Kaffee überhaupt leisten, der einen gerechten Preis entspricht? Was bedeutet das für den alltäglichen Konsum? Ich werde meinen Kaffee morgen auf jeden Fall mit einem anderen Bewusstsein genießen.



Geparkte Fahrräder

Ich wünsche allen Radelnden weiterhin eine gute Tour und viele inspirierende Begegnungen!


Wie sieht das in anderen Städten aus? Welche Initiativen gibt es bei euch, die Nachhaltigkeit und Fairen Handel zusammendenken? Was kann Koblenz noch von anderen Städten und Kommunen lernen? Und vor allem, wie gestalten wir die Veränderungsprozesse sozial und gerecht? Wie begeistern wir Menschen für zivilgesellschaftliches Engagement?


 


Franziska Heimrich

Franziska Heimrich studiert an der Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung den Master “Ökonomie-Nachhaltigkeit-Gesellschaftsgestaltung". Ihren Bachelor schloss sie in Soziale Arbeit an der Dualen Hochschule-Villingen Schwenningen ab. Sie interessiert sich für Ermöglichungsbedingungen für ein gelingenderes Leben und wie Institutionen dahingehend verändert werden können. Sie ist Teil der Blogredaktion studies4future.


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