Gemeinschaftsküchen zwischen kapitalistischer Ausbeutung und emanzipatorischer Nische
Von Annika Fuchs
2019 legte ein Küchenstreik das gesamte Klimacamp Leipziger Land lahm, sodass 1.000 Menschen vergeblich auf ihr Essen warteten. Der Streik wurde von der Kochgruppe des Camps organisiert, da viele Teilnehmenden kaum Care-Arbeit auf dem Camp übernahmen. Dieser Streik, ein Ausnahmezustand in den alltäglichen Praktiken gemeinschaftlichen Kochens vieler Gemeinschaftsküchen, zeigt das Potential von Gruppen, sich zu organisieren und auf Missstände aufmerksam zu machen. Die gesellschaftliche Organisation von Care-Arbeit, die hier konkret ausgehandelt wird, ist in feministischen Debatten ein zentrales Thema. Denn diese wird häufig nicht als Arbeit anerkannt, bleibt unsichtbar und wird schlecht oder nicht entlohnt (vgl. Vogel 1983). Dabei basiert diese Art der Arbeit auf der historischen Ausbeutung der Frau[1], die noch immer den Hauptteil der gesellschaftlichen Reproduktionsarbeit verrichtet (vgl. Hans-Böckler-Stiftung 2017).
Vergemeinschaftete Care-Arbeit als sozial-ökologisches Potential
Gemeinschaftsküchen können dabei als ein zivilgesellschaftlicher Ansatz gesehen werden, Care-Arbeit anders zu organisieren, als dies normalerweise im Privathaushalt oder staatlich sowie marktlich vermittelt der Fall ist. Indem Menschen gemeinsam kochen, entsteht ein geteilter Raum, um über die Beschaffung von Lebensmitteln, Abläufe und Arbeitsteilung zu reflektieren. Zugleich hat es das Potential, Arbeit zu reduzieren und damit Raum und Zeit zu schaffen für Anderes. Neben Kantinen und der Kochorganisation in Wohnprojekten organisieren sich auch Menschen in Kollektiven und Vereinen. Da alle diese Gruppen gemeinschaftlich organisiert Care-Arbeit verrichten, können sie als Caring Commons (vgl. Hansen und Just 2021) bezeichnet werden. Dieser theoretische Ansatz ist Teil von Transformationstheorien, die eine sozial-ökologische Transformation hin zu einer Postwachstumsgesellschaft in den Blick nehmen. Mit dieser feministischen Postwachstums-perspektive wird Care, also das Sorgen für- und miteinander, ins Zentrum der Auseinandersetzung um die (Neu-)Organisation von Arbeit gestellt. Commons-Ansätze dienen hierbei als Werkzeug, um einen neuen Zugang zur Organisation von Care-Arbeit jenseits von Markt, Staat und Privathaushalten zu erreichen: Sie erforschen transformative Praktiken, in denen solidarische, nicht-kommerzielle Projekte umgesetzt und ausprobiert werden.
Aus der Forschung zu meiner Masterarbeit lässt sich für die untersuchten Gemeinschaftsküchen zusammenfassen, dass Care insgesamt sehr umfassend gedacht wird, woraus sich eine hohe Wertschätzung von Care als Arbeit ergibt. Neben der Herkunft und Verarbeitung von Lebensmitteln steht auch Soziales, Gesundheit, Kleidung oder die Atmosphäre des gemeinsamen Essens im Fokus. In der Zusammenarbeit nimmt die Care-Arbeit eine zentrale Rolle ein und wird professionell und auch gemeinschaftlich umgesetzt. Die beteiligten Akteur*innen üben gemeinsame Praktiken ein und lernen, dass Menschen relational miteinander verbunden sind. Dies wird als Commoning bezeichnet. Einem Ziel feministischer Degrowth- und Transformationsdiskurse, „Care ins Zentrum eines geschlechtergerechten Wirtschaftssystems zu stellen“ (Hansen und Just 2021), nähern sich Gemeinschaftsküchen durch Commoning Care an.
Zugleich hat meine Forschung insbesondere zwei Problematiken aufgezeigt. Erstens lösen sich gesellschaftliche Geschlechterverhältnisse in Gemeinschaftsstrukturen nicht selbstverständlich auf. Zweitens sollte die gesellschaftliche Rolle von Gemeinschaftsküchen kritisch hinterfragt werden.
Geschlechtergerechtigkeit ist kein Selbstläufer
Wenn sowohl in Haushalten als auch in der marktvermittelten produktiven Sphäre der Wirtschaft Care-Arbeit zur Ausbeutung von der Natur sowie von FLINTA[2] führt, kann dann nicht die selbstverwaltete Sphäre der Zivilgesellschaft, der Commons, zu einer Aufwertung von Care beitragen?
Auch Gemeinschaftsküchen mit politischem Anspruch sind nicht vor Geschlechterungerechtigkeiten gefeit: Neben einer Überzahl weiblich gelesener Menschen in sozialen Projekten generell berichten meine Interviewpartner*innen von Auseinandersetzungen, die in Zusammenhang mit Geschlechterverhältnissen gebracht werden können. Allerdings zeigt sich durch die Forschung, dass Reflexionsprozesse über die Aufteilung von Care-Arbeit ein Ausweg aus dieser Situation sein können. Diese wurden meist durch externe Einflüsse angestoßen, wie die Zusammenarbeit mit anderen Aktivist*innen oder politischen Gruppen. Commoning Care findet nicht abseits von anderen gesellschaftlichen Strukturen und Diskursen statt. Demnach ist es die Aufgabe (feministischer) politischer Gruppen, von Bildungsinstitutionen und Verbündeten von Gemeinschaftsküchen, auch dort immer wieder die bestehenden Strukturen zu hinterfragen und von außen zu unterstützen, sodass „patriarchale Strukturen stärker und systematischer als bisher in den Blick“ (Helfrich 2012) genommen werden. Eine Empfehlung dieser Untersuchung wäre es daher, Gruppen mit unterschiedlichen Schwerpunkten zusammenzubringen, Austausch und gegenseitiges Lernen zu forcieren. Dieses gegenseitige Bewusstsein und ein Kennenlernen unterschiedlicher Ansätze kann dazu beitragen, die Gemeinsamkeiten der Arbeit herauszufinden und ein gemeinsames Problemverständnis zu entwickeln.
Problem der Ausbeutung ungelöst
Commons- und Commoning Care-Ansätze gehen meist davon aus, dass es gemeinschaftsbezogene, solidarische Institutionen oder Praktiken gibt, die außerhalb des kapitalistischen Systems existieren können und eine Sphäre abseits von Markt und Staat eröffnen, in denen Praktiken des „Guten Lebens für Alle“ (Ambach et al. 2019) erprobt werden können.
Diese Annahme sollte aus transformationstheoretischer Perspektive kritisch überprüft werden. Die Sozialwissenschaftlerinnen Silke Van Dyk und Elène Misbach argumentieren, während der Staat zentrale Aufgabenfelder abbaue, habe es eine „Indienstnahme der Ressource Gemeinschaft“ (van Dyk und Misbach 2016: 206) gegeben. Für Gemeinschaftsküchen stellt sich also die Frage: Ist die Versorgung wohnungsloser oder benachteiligter Menschen beispielsweise ein emanzipatorischer, politischer Akt, oder springt dort die Zivilgesellschaft für eine Leistung ein, die eigentlich der Staat erbringen sollte? Somit besteht, ausgehend von meiner empirischen Untersuchung, nicht nur die Frage, wie Vereine und Kollektive ganz konkret einer Vereinnahmung durch kapitalistische Logiken wie institutionelle Wachstums- und Professionalisierungszwänge oder die Aufnahme von Kooperationen mit Unternehmen entgegenwirken und gleichzeitig nachhaltig Care-Arbeit leisten können. Vielmehr muss hinterfragt werden, inwiefern die Zivilgesellschaft als nichtkapitalistische Nische gedacht werden kann, wenn sie elementare Aufgaben staatlicher Fürsorge, wie die Versorgung von bedürftigen Menschen, übernimmt.
Van Dyk und Misbach argumentieren, Engagierte würden dazu aufgefordert, unpolitisch zu bleiben um zwar selbstorganisiert zu agieren, dabei jedoch gesellschaftlich nützlich zu sein (vgl. van Dyk und Misbach 2016: 211). Die Verweigerung dessen mag eine der wenigen Auswege aus dem zivilgesellschaftlichen Dilemma sein: Die autonomen Freiräume des Commoning Care zu nutzen, um damit gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben. Sich politisch zu positionieren, Geld für andere Projekte zu sammeln, Streiks zu organisieren und zu versuchen, nicht als ausführendes Organ des Staates, sondern als Unterstützer*in zivilen Ungehorsams und politischer Aktionen zu agieren.
Fazit
Commoning Care kann einen wertvollen Beitrag zur sozial-ökologischen Transformation leisten: Die Organisierung von Care-Arbeit im Haushalt, Staat oder Markt hat erhebliche Nachteile für die Wertschätzung und Sichtbarkeit der Arbeit sowie für die Arbeitnehmer*innen. Demgegenüber bietet Commoning Care die Möglichkeit für Organisierung und Politisierung der Akteur*innen und schafft Räume, in denen eine gesteigerte Wertschätzung für Care-Arbeit real wird. Jedoch entlastet die gemeinschaftliche Übernahme von Care-Arbeit zugleich den Sozialstaat. Gerade das Kochen als elementare Tätigkeit springt in die Lücken eines Staates, der seiner Sorgfaltspflicht nicht nachkommt. Daher ist aus feministischer Perspektive nicht nur fragwürdig, ob die Überzahl von FLINTA+ im Bereich des sozialen Ehrenamts abgebaut und dabei Geschlechterrollen bei Commoning Care reflektiert und verändert werden können. Sondern es ist auch zu hinterfragen, ob all diese Prozesse zu einer Wertschätzung von Care beitragen, die durch den Abbau staatlicher Leistungen permanent untergraben wird. Daher ist es notwendig, einen genauen Blick auf die Art und die Ziele gemeinschaftlichen Kochens zu legen: Werden tatsächlich die Care-Arbeit der Commoner*innen vergemeinschaftet und im besten Fall ihr Alltag dadurch restrukturiert? Eine strengere Auslegung des Konzepts des Commoning Care, welches sich stärker auf die Umorganisation der Care-Arbeit der Beteiligten fokussiert, wäre damit realisiert.
Gerade die Multiperspektivität des Ansatzes, ökologische, soziale und feministische Fragen zusammenzudenken, ist nützlich, um der Komplexität der sozial-ökologischen Transformation zu begegnen. Dabei hilft es auch, die Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Projekten sichtbar zu machen, befähigen diese Institutionen doch alle Beteiligten, selbst aktiv zu werden und ihr eigenes Wissen über kollektive Organisation auszubauen. Auch wenn die Strukturen (noch) nicht hinreichend ausgebaut sind, um die Alltagspraktiken der Beteiligten weitestgehend zu transformieren, bieten die Gruppen doch Räume, „bisher Unverbundenes in neuer Weise“ (Adamczak 2017, S. 226) zu verknüpfen. Dabei darf jedoch nicht der Fehler gemacht werden, Transformation eindimensional zu denken: Gerade die weiblich markierte Reproduktionsarbeit wurde schon zu häufig zum Nebenwiderspruch erklärt.
[1] Ich benutze die Bezeichnung Frau, da dieser in materialistisch-feministischen Ansätzen häufig weiterhin benutzt wird. Es geht damit nicht darum, die Vielfalt von Geschlechtsidentitäten unsichtbar zu machen, sondern darum, darauf hinzuweisen, dass gesellschaftlich noch immer von einer zweigeschlechtlichen Norm ausgegangen wird, in der die soziale Kategorie „Frau“ für die gesellschaftliche Reproduktionsarbeit zuständig ist.
[2] FLINTA+ steht für Frauen, Lesben, Inter-, Nicht-binäre-, Trans- und Agender-Personen als Sammelkategorie für Menschen, die strukturell vom Patriarchat betroffen sind.
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